Anne - 03 - Anne - 03 - Anne, der beste Lebenskamerad
Ich weiß ja, daß es eine Kleinigkeit ist, in Norwegen eine Stellung zu bekommen, und ich habe doch früher auch schon.“
„Ja, mein Kind, jetzt kommst du zu dem Punkt, über den ich mit dir reden wollte. Wie wäre es denn, wenn du hierbliebst? Das Zimmer steht sowieso frei, vermieten wollen wir es nicht, es kostet uns also nicht einen öre, wenn du hier bei uns wohnst.“
„Aber der Kaffee und die Rundstücke und das Apfelschmorfleisch und all das andere, das ihr in mich hineinstopft?“ „Erstens sollte ich meinen, daß ich Manns genug bin, um zu bezahlen, was du verzehrst, mein Kind - und zweitens meinte ich auch nicht, daß du auf der faulen Haut liegen solltest. Ich meine, du müßtest doch auch hier in Dänemark eine Stellung finden? Was willst du denn in Norwegen, Annekind? In der Möwenbucht wird schwerlich Verwendung für eine junge Dame mit erstklassiger Handelsausbildung und Sprachkenntnissen sein. Du müßtest in irgendeine Stadt gehen, wo du nicht eine Seele kennst, müßtest ein trübseliges Untermieterdasein führen - und davon hast du genug gehabt. Es wird Zeit, daß du wieder ein Zuhause hast, Annelein. Können wir nicht dem Plan energisch nähertreten, daß du in Dänemark bleibst? Du bist jetzt Dänin, das darfst du nicht vergessen. Du bist dänische Staatsangehörige; hier ist deine neue Heimat, also kannst du dich ebensogut gleich daran gewöhnen.“
Anne schwieg eine Weile. Schließlich sagte sie, langsam und nachdenklich:
„Onkel Herluf, du weißt doch, es gibt in der ganzen Welt nicht einen Ort, wo ich lieber sein möchte als hier. Aber im Augenblick weiß ich wirklich nicht, was ich in Dänemark tun sollte - bedenke doch, ich kann kein ordentliches Dänisch schreiben, und bedenke, daß man hier an Sekretärinnen und ähnliche Berufe große Anforderungen stellt. Und ich muß auch gut verdienen. Ich kann es nicht bei nur ein paar hundert Kronen im Monat bewenden lassen.“ „Nein, das ist mir völlig klar! Aber, Annelein, wir brauchen doch weder heute noch morgen eine Entscheidung zu treffen. Wir beschlafen es, und dann wird sich schon ein Ausweg finden. Die Hauptsache ist, daß du erst einmal bei uns bleibst!“
In den folgenden Tagen führte Anne an Evas Statt den Haushalt. „Du hast in diesem Jahr noch keine Ferien gemacht“, sagte sie zur Schwiegermutter. Sie wurde von Onkel Herluf unterstützt, und zum erstenmal seit vielen Jahren konnte Eva sich ganz dem Müßiggang hingeben und zusehen, wie jemand ihre Arbeit erledigte.
Aber Anne tat noch etwas anderes. Sie studierte in den Zeitungen eifrig die Spalte „Stellenangebote“.
Und eines Vormittags, als Eva glaubte, Anne sei einkaufen gegangen, war die Schwiegertochter auf eigene Faust losgezogen, die Handtasche voll von allem, was sie an Bescheinigungen, Zeugnissen und Examenspapieren besaß. Sicherheitshalber hatte sie auch die Heiratsurkunde mitgenommen. Es war schon am besten, man konnte beweisen, daß man dänische Staatsangehörige war und damit das Recht hatte, in Dänemark eine Stellung anzunehmen. Als sie nach Hause kam, spielte ein geheimnisvolles Lächeln um ihren Mund.
Beim Mittagessen rückte sie mit ihrem Geheimnis heraus. Ab nächsten Montag sollte sie in einem Bahnhofskiosk auf einem der kleinen S-Bahnhöfe ein junges Mädchen vertreten. Die Vertretung sollte einen Monat dauern, würde gut bezahlt, und die Arbeit erforderte nicht gerade übermenschliche Kenntnisse. Sie hatte Ansichtskarten und Bleistifte, Süßigkeiten und Zigaretten, Zeitungen und Zeitschriften und all die andern tausend Kleinigkeiten zu verkaufen, die man an einem Zeitungsstand in Kopenhagen bekam. Daß sie Deutsch und Englisch und zur Not auch etwas Französisch konnte, war schwer in die Waagschale gefallen. Die Arbeitszeit eine Woche lang von sieben bis vierzehn Uhr, die nächste von vierzehn bis einundzwanzig Uhr. Jeden zweiten Sonntag frei.
„Jaja“, sagte Onkel Herluf. „Es ist ja nicht gerade das, was ich mir für dich gewünscht habe, Anne, aber eine Arbeit ist wohl so gut wie die andere.“
„Es ist auch nicht gerade das, was ich mir so dachte, Onkel Herluf“, sagte Anne. „Ich denke nämlich an etwas ganz, ganz anderes. Aber dafür muß ich ein bißchen Zeit haben.“
Eva blickte sie aufmerksam an.
„Mochte doch wirklich wissen, ob wir dasselbe im Auge haben“, sagte sie. Anne gab keine Antwort darauf, sie stand mit einem Lächeln auf, stellte die Teller zusammen und ging in die Küche, um den Nachtisch zu
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