Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
Vom Netzwerk:
sie müssen mit keinen Widerständen fertig werden, keinen Launen, keinen Wartezeiten. – Die Musgroves verhalten sich so ehrenwert und herzensgut wie immer, zwei wahrhaft liebevolle Eltern, denen es um das Wohl ihrer Tochter geht und nichts sonst. All dies ist dem Glück der beiden förderlich, sehr förderlich; mehr vielleicht, als –«
    Er brach ab. Eine jähe Erinnerung schien ihn anzuwandelnund einen Widerschein jener Gefühle auf ihn zu werfen, die Anne die Wangen röteten und ihren Blick zu Boden bannten. – Nachdem er sich jedoch geräuspert hatte, fuhr er fort:
    »Ich gebe zu, daß ich eine Ungleichheit empfinde, eine allzu große Ungleichheit, und zwar in keinem geringeren Punkt als dem Geist, der Seele. – Louisa Musgrove ist ein sehr liebenswertes, reizendes Mädchen, und an Verstand mangelt ihr auch nicht; aber Benwick ist mehr als das. Er ist klug, er ist gelehrt – und ich gestehe, es überrascht mich nicht wenig, daß er sich ihr zugewandt hat. Wäre es aus Dankbarkeit – hätte er sie lieben gelernt, weil er das Gefühl haben durfte, bevorzugt vor allen anderen zu sein, dann wäre das etwas anderes. Aber davon ist bei ihm nichts zu merken. Im Gegenteil, von seiner Seite scheint es mir eine ganz spontane, unvermittelte Empfindung, und das wundert mich. Ein Mann wie er, in seiner Lage! Mit einem blutenden, verwundeten, beinah gebrochenen Herzen! Fanny Harville war eine wirklich überragende Persönlichkeit, und seine Zuneigung zu ihr entsprang echter Neigung. Ein Mann kommt nicht hinweg über eine so innige Liebe zu solch einer Frau! – Das darf er nicht – das kann er nicht!«
    Weiter sprach er nicht, sei es aus dem Bewußtsein, daß sein Freund sehr wohl darüber hinweggekommen war, sei es aus einem Bewußtsein anderer Art; und Anne, die trotz des erregten Tons, in dem dies letzte hervorgestoßen worden war, und trotz der Vielzahl von Geräuschen im Raum, dem fast unaufhörlichen Schlagen der Tür und dem unaufhörlichen Stimmengewirr der Vorübergehenden, jede Silbe vernommen hatte, war bestürzt, befriedigt, verwirrt und begann, rascher zu atmen und hundert Dinge zugleich zu empfinden. Auf solche Worte einzugehen war ihr unmöglich, aber nach einer Pause fühlte sie sich doch zum Sprechen genötigt, und da sie um Himmels willen keinen vollständigen Themenwechsel wünschte, wich sie nur insofern ab, als sie sagte:
    »Sie waren eine ganze Weile in Lyme, nicht wahr?«
    »An die vierzehn Tage. Ich konnte nicht abreisen, ehe nicht feststand, daß Louisa auf dem Weg der Besserung war. Ich war zu tief verstrickt gewesen in das ganze Unglück, um so bald beruhigt zu sein. Es war meine Schuld – einzig und allein meine. Sie wäre nicht stur gewesen, wenn ich nicht schwach gewesen wäre. Es ist sehr schön rund um Lyme. Ich bin viel dort gewandert und geritten, und je mehr ich kennengelernt habe, desto mehr fand ich zu bewundern.«
    »Ich würde Lyme sehr gern einmal wiedersehen«, sagte Anne.
    »Wirklich? Ich hätte nicht erwartet, daß Sie so freundliche Gefühle gegenüber dem Ort hegen. Die Schrecken und Ängste, denen Sie ausgesetzt waren – die innere Anspannung, der Nervenverschleiß – ich hätte gedacht, Ihr letzter Eindruck von Lyme müßte ein äußerst widriger gewesen sein.«
    »Die letzten Stunden waren schrecklich, das stimmt«, erwiderte Anne, »aber wenn der Schrecken abgeebbt ist, verklärt sich die Erinnerung daran oft. Man liebt einen Ort nicht weniger, weil man dort Schweres durchgemacht hat – es sei denn, es war nur Schweres, vom ersten bis zum letzten Moment, und das trifft auf Lyme ja nicht zu. Wir haben nur die letzten zwei Stunden in Angst und Sorge verbracht; bis dahin hatten wir es doch wunderbar! So viel Neues und Schönes! Ich bin so wenig gereist, daß jeder unbekannte Ort mich gefesselt hätte – aber in Lyme findet man echte Schönheit, und kurzum« (mit einem schwachen Erröten angesichts einiger der Erinnerungen), »ich habe es als sehr angenehm im Gedächtnis.«
    Sie hatte den Satz eben beendet, als sich die Eingangstür erneut öffnete und diejenigen eintraten, auf die alles wartete. »Lady Dalrymple, Lady Dalrymple«, ertönte es jubelnd, und mit soviel Eifer, wie sich mit gesuchter Eleganz noch vereinbaren ließ, eilten Sir Walter und seine beiden Damen auf sie zu. Lady Dalrymple und Miss Carteret, eskortiert von Mr. Elliot und Colonel Wallis, die fast im gleichen Augenblickeingetroffen waren, schritten durchs Foyer. Die anderen schlossen sich ihnen an

Weitere Kostenlose Bücher