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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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Nie war es ihr so schwergefallen, ihm zuzuhören, obwohl er so beflissen und anteilnehmend war wie nur je und seine Themen so wählte, daß sie fast zwingend interessieren mußten: Lob, warmes, gerechtes und scharfsinniges Lob für Lady Russell, und Andeutungen, äußerst fundierte Andeutungen in Richtung Mrs. Clays. Aber für den Augenblick konnte sie an nichts denken als an Captain Wentworth. Sie konnte seine jetzigen Gefühle nicht einschätzen – ob er an großer Enttäuschung litt oder nicht;und bis diese Frage geklärt war, konnte sie auch nicht sie selbst sein.
    Sie hoffte sehr, daß sie mit der Zeit weise und vernünftig würde; denn noch, so viel stand fest, noch war sie’s nicht.
    Etwas anderes, was sie unbedingt erfahren mußte, war, wie lange er in Bath zu bleiben gedachte; er hatte nichts darüber gesagt, zumindest erinnerte sie sich nicht. Vielleicht war er nur auf der Durchreise. Aber wahrscheinlicher schien, daß er ein Weilchen bleiben würde. Und da in Bath früher oder später jeder jedem über den Weg lief, war es in diesem Fall unvermeidlich, daß Lady Russell ihn irgendwo sah. – Würde sie ihn wiedererkennen? Wie würde alles sein?
    Anne hatte ihr bereits beichten müssen, daß Louisa Musgrove nun Captain Benwick heiraten würde. Es hatte sie einiges gekostet, Lady Russells Verwunderung über sich ergehen zu lassen; wenn sie jetzt unversehens mit Captain Wentworth zusammentraf, konnte eine ungenaue Kenntnis der Sachlage sie in ihrer Ablehnung seiner Person noch bestärken.
    Am nächsten Morgen war Anne mit ihrer Freundin unterwegs und verbrachte die erste Stunde in unablässiger, banger, vergeblicher Ausschau nach ihm; doch schließlich, als sie durch die Pulteney Street zurückfuhren, entdeckte sie ihn auf dem Trottoir rechts von ihnen, so weit entfernt noch, daß sie ihn fast die ganze Länge der Straße im Blick hatte. Er ging zwischen vielen anderen Passanten, ganzen Gruppen, die alle die gleiche Richtung hatten wie er, aber ein Irrtum war ausgeschlossen. Instinktiv sah sie zu Lady Russell hinüber – nicht, daß sie sich ernsthaft einbildete, diese könnte ihn so rasch erkannt haben wie sie. Nein, Lady Russell würde ihn ganz bestimmt nicht bemerken, bevor sie gleichauf mit ihm waren. Dennoch spähte sie ab und zu ängstlich zu ihr hin; und als es soweit war, daß Lady Russells Blick auf ihn fallen mußte, spürte sie überdeutlich (noch einmal hinzuschauen wagte sie nicht, dafür hätte ihr Gesicht zuviel verraten), wiedie Freundin sich in seine Richtung beugte – wie sie ihn scharf ins Auge faßte. Anne verstand nur zu gut, welche Faszination er auf sie ausüben mußte; wie schwer es ihr fallen mußte, den Blick von ihm loszureißen; wie verblüfft sie sein mußte, daß acht oder neun Jahre – Jahre in fremdem Klima und im aktiven Kriegsdienst – es nicht vermocht hatten, seinem guten Aussehen irgendeinen Abbruch zu tun.
    Endlich zog Lady Russell den Kopf zurück. – Was würde sie nun über ihn sagen?
    »Du wunderst dich wahrscheinlich«, sagte Lady Russell, »wo ich so gebannt hingestarrt habe, aber ich habe diese Gardinen auszumachen versucht, von denen mir Lady Alicia und Mrs. Frankland gestern abend erzählt haben. Sie sagten, die Salonvorhänge in einem der Häuser auf dieser Straßenseite und auf dieser Höhe seien die schönsten und bestdrapierten in ganz Bath, aber sie wußten die genaue Hausnummer nicht, deshalb wollte ich herausfinden, welches sie wohl meinen; aber ich muß gestehen, daß ich nirgends Vorhänge sehen kann, die ihrer Beschreibung entsprächen.«
    Anne seufzte, errötete, lächelte – voll Mitleid und voll Verachtung für ihre Freundin oder auch für sich selbst. – Am ärgerlichsten an der Sache schien ihr, daß sie es vor lauter vergeudeter Vorsorge und Voraussicht versäumt hatte, zu schauen, ob er sie sah.
    Ein, zwei Tage verstrichen, ohne daß sich irgend etwas tat.– Das Theater oder die Gesellschaftsräume, wo er mit größter Wahrscheinlichkeit anzutreffen gewesen wäre, waren nicht mondän genug für die Elliots, deren Abendzerstreuungen sich ausschließlich in der eleganten Beschränktheit privater Soireén abspielten, in denen sie mehr und mehr aufgingen; und Anne, die den ewigen Stillstand leid war, die es satt hatte, im Dunkeln zu tappen, und sich, da ihre Kraft nicht auf die Probe gestellt wurde, für stark hielt, wartete ungeduldig auf den Konzertabend. Es war ein Konzert zur Förderung eines Protegés von Lady Dalrymple. Selbstredend

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