Anne Frasier
möglicherweise eine der besten seiner jounalistischen Arbeiten.
Die Überschrift wurde eingelöst durch den ersten Satz des Artikels.
Der Mörder ist unter uns. Er labt sich an der größten Angst jeder Mutter - dem Verlust ihres Kindes. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, dem Verlust dieses Kindes unter den furchtbarsten Umständen.
Dieser neueste Doppelmord ist der zweite im Bereich der Stadt Chicago in zwei Wochen. Es gibt viele Fragen, aber bislang keine Antworten. Fragen wie: Warum gibt die Polizei der Öffentlichkeit keine Informationen? Wenn die Menschen informiert gewesen wären, würde das neueste Opfer vielleicht noch leben? Das Einzige, was wir sicher wissen, ist: Die Düsternis im Treppenhaus ist echt.
Bei der Zeitung kam er sich vor wie ein Star. Als er zu seinem Tisch ging, lobten ihn die Kollegen. »Tolle Geschichte, Alex.« »Gut gemacht.«
Maude kam zu ihm, bevor er sich auch nur setzen konnte. »Klasse gemacht, Alex.«
»Du findest es nicht zu ...« Er unterbrach sich, suchte nach dem richtigen Wort, schließlich fiel es ihm ein. »... dramatisch?«
»Machst du Witze? Es war wahrhaftig. Das ist es, was wir wollen. Wahrhaftigkeit.«
Superintendent Abraham Sinclair starrte das Schwarz-Weiß- Foto im Herald an. Ivy Dunlap. Auf ihrem Gesicht lag ein angstvoller Ausdruck, als wäre sie auf der Flucht, so wie man es auf den Umschlägen alter Taschenbücher hafte sehen können.
»Das ist nichts als ein Haufen angeberischer, sensationslüsterner Mist«, sagte Abraham zu Max, der in seinem Büro vorbeigeschaut hatte, um mit ihm über den Artikel zu sprechen. Er warf die Zeitung auf seinen Schreibtisch. »Weißt du, wie das aussieht? Wie eine Anzeige für einen Horrorfilm, so sieht das aus.«
Max griff nach der Zeitung. »Wenigstens steht es auf Seite drei, nicht Seite eins.«
Abraham ging zum Fenster und starrte hinunter auf den Verkehr auf der Straße. War es richtig gewesen, Ivy herzuholen? Normalerweise bezweifelte er seine Entscheidungen nicht, aber wenn es um den Madonna-Mörder ging, zweifelte er an allem, was er tat.
Er war müde.
Die Leute fragten ihn immer, was er tun würde, wenn er in Rente ginge, sie sagten, er würde sich doch zu Tode langweilen. Aber er war sicher, so würde es nicht kommen.
Was, wenn er sich nicht langweilen konnte? Wenn er zum Fischen nach Florida fuhr und bloß ermordete Babys und ermordete Mütter knapp unterhalb der Wasseroberfläche vorbeitreiben sah?
Die Schuld. Abraham konnte die Schuld nicht hinter sich lassen. Vor achtzehn Jahren, als die Morde begonnen hatten, war er ein Detective in Bereich Fünf gewesen, genau wie Max jetzt. Er war zuversichtlich gewesen, und er hatte wirklich geglaubt, diesen Wahnsinnigen fassen zu können. Aber er hatte ihn nicht gekriegt, er hatte ihn nie gekriegt, und zwölf Mütter und ihre Babys waren gestorben.
Deswegen hatte er sich so viel Mühe gegeben, Claudia Reynolds zu helfen. Hatte ihr eine neue Identität verschafft, ein neues Leben in einem neuen Land.
Er hatte ihr die kanadische Staatsbürgerschaft besorgen können. Aus Gründen, die genauso unerklärlich waren wie alles andere, was sie taten, überquerten Serienmörder selten Staatsgrenzen. Das galt natürlich nicht für alle. Da war Christopher Wilder, der mehrere Leute in Australien umgebracht hatte, und als es dort zu heiß für ihn wurde, in die USA gezogen war, wo er weitermachte, bevor er sich mit seiner eigenen Waffe das Licht ausblies, als er mit zwei Polizisten aneinander geriet.
Abraham hatte Ivy über die Jahre im Blick behalten. Er wusste, dass sie in Kanada in der Psychiatrie gewesen war, aber sie hatte die Dunkelheit hinter sich gelassen und einen Abschluss in Kriminalpsychologie absolviert. Sie hatte sogar ein Buch über die Gedankenwelt von Serienmördern veröffentlicht.
Aber den Madonna-Mörder hatte man nie gefunden.
Als die Morde endeten, war Abraham zutiefst verzweifelt. Er hatte angefangen zu trinken. Dann hatte er angefangen, Tabletten zu nehmen. Dann kombinierte er beides, bis er beinahe daran verreckte. Seine Frau konnte es nicht mehr ertragen und verließ ihn.
Und jetzt war der Mörder wieder da.
Gab es einen Gott? Das wollte er gern wissen. Denn manchmal schien es wirklich nicht so.
»Was ist mit dem FBI?«, fragte Abraham. »Gibt es schon was Neues von denen?«
»Die haben irre viel zu tun, aber sie ziehen zwei Leute von anderen Fällen ab und schicken sie uns«, sagte Max. »Sie müssten heute Nachmittag oder heute
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