Anne Frasier
»Glauben Sie mir jetzt, Detective?«
Er sah sie wie zum ersten Mal. Zum allerersten Mal... und sein Blick war voller Mitgefühl und Wut und Zorn und Trauer. Hass auf den Mann, der ihr das angetan hatte, stieg in seinem Hals auf, ließ ihn beinahe ersticken. Obwohl sie ihr Top wieder heruntergezogen hatte, konnte er die Narben im Geiste noch vor sich sehen, sie waren für immer eingebrannt, kreuz und quer auf ihrem Bauch.
»Klar glaube ich Ihnen.« Zufrieden knöpfte sie ihre Hose zu und schloss den Reißverschluss. »Gut.«
»Abraham«, sagte Max hölzern, seine Gedanken taumelten vorwärts, stolperten, versuchten dieses ganz neue Puzzle zusammenzusetzen.
»Er hat es getan, um mir das Leben zu retten«, erklärte sie. »Es war die einzige Möglichkeit. Der Mörder hätte mich gefunden und umgebracht.«
»Warum sind Sie hier? Warum sind Sie zurückgekehrt?« Sie starrte ihn einen Augenblick lang an, dann sagte sie mit stiller Überzeugung: »Ich werde dieses Schwein erwischen.«
Wenn der Madonna-Mörder wüsste, dass sie am Leben war ...
Er dachte darüber nach, wie es sein würde, irgendwo, irgendwann, ihren toten, leblosen Körper aufzufinden. Er dachte daran, wie verlockend sie für den Killer sein könnte. »Ist Ihnen klar, welcher Gefahr Sie sich ausgesetzt haben?« »Ich habe keine Angst.«
Wie zum Teufel hatte Abraham das erlauben können? Nein, selbst in die Wege leiten können? »Wenn der Mörder herauskriegt, wer Sie sind, werde ich Sie vielleicht nicht beschützen können.«
»Ich habe Ihnen nicht gesagt, wer ich bin, damit Sie mich beschützen können. Ich habe es Ihnen gesagt, damit Sie wissen, wie hilfreich ich sein kann. Wie wichtig ich für diese Ermittlungen sein kann.«
Sie wirkte erleichtert. Natürlich. Das Gewicht ihrer Last lag ja jetzt bei ihm. Und sie war verdammt schwer.
Sie schüttelte ihr Haar zurück, richtete sich auf. »Und ich hasse Lügen«, setzte sie hinzu.
War sie noch bei Trost?
»Was denken Sie?«, fragte sie.
»Abraham«, sagte er, schaltete schnell. »Wir müssen ihm sagen, dass wir dieses Gespräch hatten. Aber sonst darf es niemand erfahren. Nicht einmal die anderen in der Einsatzgruppe. Zu riskant. Wenn das irgendwie an die Presse gelangt, veröffentlichen sie es, und Sie sind das nächste Opfer des Madonna-Mörders.«
»Abraham könnte mich dem Fall entheben. Zurück nach Kanada schicken.«
»Das wäre vielleicht keine schlechte Idee.«
Sie öffnete die Manschetten ihrer Bluse, krempelte die Ärmel hoch.
Was jetzt?
Auf den Innenseiten ihrer Handgelenke befanden sich weitere Narben. »Die stammen nicht vom Madonna-Mörder«, erklärte sie ohne Gefühl in der Stimme. »Die stammen von mir.«
Sie krempelte ihre Ärmel wieder herunter; es sah aus, als hätte sie gerade ein ganzes Spülbecken dreckiger Teller hinter sich gebracht. »Ich war zwei Jahre in der Psychiatrie, in Kanada. Wissen Sie, was mich getrieben hat, was mich dazu brachte, zu entscheiden, dass ich leben will? Die Gewissheit, dass er noch irgendwo dort draußen war, im Winterschlaf, aber nach wie vor bereit, wieder zuzuschlagen. Ich habe mich
weitergebildet. Ich habe gelernt, was ich lernen musste, um diesen Wahnsinnigen zu finden. Und ich bitte Sie, mir das nicht wegzunehmen.«
»Eigenartigerweise beeindruckt mich ihre verspätete Bewerbung nicht wirklich. Nichts von dem, was Sie mir gesagt haben, passt auf die Jobbeschreibung. Habe ich das richtig verstanden? Wollen Sie mir androhen, dass Sie sich umbringen, wenn ich Sie von dem Fall abziehe?«
»Seien Sie nicht albern. Wenn Sie mich rauswerfen, wende ich mich an die Presse, sage, wer ich bin, und dann sitze ich da und warte, bis der Madonna-Mörder kommt. Und wenn er das tut, bringe ich ihn um.«
19
»Haben Sie Lust auf einen Ausflug?«
Die Stimme am anderen Ende der Leitung gehörte Max Irving. Es war Sonntagmorgen, und Ivy, die die halbe Nacht wach gelegen und über den Fall nachgedacht hatte, lag noch im Bett.
»Einen Ausflug?«, fragte sie und versuchte, hellwach zu klingen, ihre Gedanken zu sammeln.
»Ethan und ich fahren raus aus der Stadt. Ich dachte, Sie haben vielleicht Lust, mitzukommen. Eine Weile aus ihrer Wohnung rauszukommen.«
Sie antwortete ohne Zögern.
»Sehr gern.«
Es war zwei Tage her, dass sie Max ihre wahre Identität gestanden hatte, und obwohl sich oberflächlich betrachtet nichts zwischen ihnen verändert hatte, war sie sich einer Unterströmung gegenseitigen Respekts bewusst, die es zuvor nicht gegeben
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