Anne Frasier
statt klebrig braun gestrichen. Aber mit neuer Türklinke, neuem Schloss, neuen Discounter-Metallziffern.
Der Hausmeister schloss auf und öffnete die Tür. Sie standen alle drei da und schauten hinein.
Ivys Herz sank.
Der Umbau hatte nicht bis Zimmer 283 gereicht.
Irvings Stimme schien aus einer anderen Dimension in ihre Richtung zu hallen, gedämpft, undeutlich. »Dürfen wir uns allein umsehen?«
Eine andere Stimme antwortete.
»Was? Oh. Oh, sicher.«
Dann einige schnelle Schritte, gefolgt von der sich schließenden Fahrstuhltür.
Ivys Füße schienen im Schlamm zu stecken, aber sie trat vor in das Zimmer. Ihr Herz schlug so schnell, dass sie sich fragte, ob sie gleich einen Herzschlag bekäme.
Wäre das nicht eigenartig?
Hier zu sterben?
Auf diese Art den Kreis zu schließen?
Das Erste, was sie traf, war der Geruch. Dieser abscheuliche Geruch nach altem Haus, gemischt mit dem Geruch all der Menschen, die jemals auf den zahlreichen fleckigen Matratzen geschlafen hatten, die an einer Wand lehnten, und all den Leuten, die jemals auf den vier Porzellantoiletten gesessen hatten, die alle ziemlich heruntergekommen wirkten. Es roch nach altem Schweiß und Urin, und nach Stoff, in dem der Staub, die Hautabschilferungen und Milben von hundert Jahren steckten.
Ivy drückte sich an einer der Toilettenschüsseln vorbei, die auf der Seite lag wie ein verwundeter Soldat.
»Erstaunlich«, bemerkte Irving und ging an einem Stapel Leinen-und Chenille-Bettbezügen vorbei, die aussahen, als wären sie noch aus den Fünfzigern.
Es war ein Studio, sehr ähnlich Ivys derzeitiger Wohnung. Direkt hinter der Eingangstür befanden sich eine Küche und ein Schlafbereich, in der rostigen Spüle lagen Klempner- und Elektrikerutensilien, daneben lange, schmale Schachteln, in denen Neonröhren steckten. Es gab kein Wohnzimmer. Das Bett stand immer noch da. Neben dem Fenster, durch das der Madonna-Mörder entkommen war. Keine Laken. Keine Bettdecke. Bloß eine fleckige, nackte Matratze. Dieselbe Matratze?
Sie konnte nicht näher treten.
Ihr Blick zuckte nach links, wo die Wiege gestanden hatte. Sie war verschwunden, Gott sei Dank. Die kaputte Lampe war weg, die zersplitterte Schneekugel. Aber die Matratze.
Die fleckige Matratze. War es dieselbe? Und wenn ja, warum um Himmels willen hatte man sie nicht entsorgt?
Obwohl sie sich Hunderte von Malen im Traum und in der Wirklichkeit vorgestellt hatte, an genau dieser Stelle zu stehen, hatte sie nichts wirklich darauf vorbereiten können.
Warum hatten sie das Zimmer nicht entkernt? So wie es war, wirkte es beinahe wie ein Monument der Schrecken, die sich hier zugetragen hatten. Für immer erstarrt in der Zeit.
»Glauben Sie, er war derjenige, der das Zimmer mieten wollte?«, fragte sie. Sie musste nicht erklären, wer »er« war.
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Könnte auch nur jemand gewesen sein, der sagen wollte, dass er hier gewohnt hat. So wie die Leute auch immer in dem Zimmer schlafen wollen, in dem John Belushi gestorben ist.« »Ich bin nicht berühmt.«
»Menschen sind teuflisch neugierig, solange es nichts mit ihnen zu tun hat.«
Sie begann, sich zu beruhigen. Ihr Herz schlug nicht mehr so schnell.
Irving schien zu spüren, dass sie langsam ihre Gefühle im Griff harte, und fragte: »Löst das irgendwelche neuen Erinnerungen aus? Die Sie vielleicht vergessen haben?« Bilder huschten durch ihren Geist. Ein fremder Mann mit einer dunklen Kapuze beugte sich über ihr Baby.
»Kein Weinen«, sagte sie. »Mein Baby hat nicht geweint.« Sie fuhr sich mit einer Zunge über die trockenen Lippen. »Der Mörder, er hat da gestanden. Über die Wiege gebeugt. Ich habe das Licht angeschaltet und ihn gesehen.«
»Hat er aufgeschaut, ab sie das Licht eingeschaltet haben? Erinnern Sie sich an sein Gesicht?«
Sie atmete tief ein und konzentrierte sich intensiv, dann schüttelte sie den Kopf, »Er muss doch aufgeschaut haben, oder?«
Irving zuckte auf eine Art und Weise mit den Schultern, die
verriet, dass er derselben Meinung war. »Möchte man meinen.«
Er wirkte so fremd in dem Todeszimmer. Er war Teil ihres neuen Lebens, nicht des alten. »Hypnotisieren Sie mich«, sagte sie.
»Was?«
Sie konnte sehen, dass er glaubte, sie missverstanden zu haben.
»Ich weiß, dass Sie ausgebildeter Hypnotiseur sind. Ich weiß, dass Sie einmal einen Vergewaltiger gefangen haben, indem Sie sein Opfer hypnotisierten.«
»Das habe ich aber nicht da getan, wo das Verbrechen
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