Anne Frasier
9xl3-Foto unter die Nase.
Der Typ war ein Biker, er hatte seine langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und die Arme waren voller Tattoos, manche gut, manche nicht. Er schüttelte den Kopf.
»So was lässt sich kein Mensch mehr tätowieren, Mann. Ich hab so was noch nie selbst gemacht.«
Regina Hastings löste ihren Blick von einem Glaskasten mit Piercingschmuck. »Wir wollen nicht wissen, ob Sie so
eins gestochen haben, wir wollen wissen, ob jemand mal hier war und sich das in etwas anderes umarbeiten lassen wollte. So was machen Sie doch, oder? Sie bearbeiten Tätowierungen, bis sie ganz anders aussehen?«
»Ja. Klar. Manchmal sogar kostenlos, bei Jugendlichen, die aus Gangs raus wollen. Aber so eins habe ich seit Jahren nicht gesehen.«
Er versuchte, das Foto zurückzugeben.
»Behalten Sie's«, sagte Ronny. »Und wenn jemand mit so einem Tattoo auftaucht, sagen Sie nichts zu ihm. Rufen Sie einfach diese Nummer an.« Er reichte ihm eine Karte mit der direkten Durchwahl der Einsatzzentrale.
»Mord, ja? Was hat dieser Typ getan? Jemand umgebracht?«
Es war offensichtlich, dass der Tätowierer keinen seiner eigenen Leute verraten wollte.
»Er hat eine Menge Leute umgebracht«, sagte Ramirez. »Sogar Babys.«
»Oh, Scheiße.« Der Mann steckte die Karte in die Tasche seiner schwarzen Lederweste, klopfte darauf. »Wenn er kommt, tätowier ich ihn mit einer HlV-infizierten Nadel.«
»Rufen Sie uns einfach an«, entgegnete Hastings trocken.
»Zehn geschafft, noch fünfzehn«, sagte Hastings vier Stunden später und strich »A Good Poke« von ihrer Liste. »Und das ist bloß Chicagos Innenstadt. Ich wusste nicht, dass es so viele Tattoo-Studios gibt.«
»Hast du eigentlich Tätowierungen?«, fragte Ronny und warf ihr einen Blick zu, als er vom Parkplatz losfuhr.
»Du wirst es nie erfahren. Da vorne rechts abbiegen.«
»Sag mal.« Er hielt an einer roten Ampel. »Warum sind wir eigentlich nur einmal ausgegangen? Ich hab's vergessen.«
»Weil ich rausgekriegt habe, dass du ein Arschloch bist.«
»Oh. Ach ja.«
»Gibst du es etwa zu?«, fragte sie erstaunt.
Er bog rechts ab, und sie fuhren eine Weile schweigend.
»Ich mag's nicht, wenn man über mich lacht«, sagte er schließlich.
»Wer mag das schon? Aber wenn was lustig ist, lache ich. So bin ich eben.«
»Das erklärt wohl, warum ich dich hab sitzen lassen würde ich sagen.«
»Ich hab dich sitzen lassen.« »Ich hab dich sitzen lassen.« Sie lachte.
»Lach nicht über mich.« »Arschloch.«
»Jetzt komm schon, Hastings. Ich hab gerade versucht mich zu entschuldigen, und du beschimpfst mich.« »Okay, okay.«
»Warum gehen wir nicht mal wieder aus?« »Das wäre bloß Zeitverschwendung.« »Wieso das?«
»Wie du weißt, mach ich's nicht beim ersten Date. Und auch nicht beim zweiten. Oder beim dritten.« »Und was ist mit dem vierten?«
»Du bist so arrogant! Sex muss für mich etwas bedeuten. Ich muss was für den Mann empfinden. Es ist nicht bloß eine Freizeitbeschäftigung.« »So sehe ich das auch.«
»Was für ein Blödsinn. Du hast einen Ruf, Ramirez. Und keinen guten.« »Wie Donnerhall!«
»Es geht mir um die Sache. Und außerdem sollten wir jetzt nicht darüber reden. Nicht im Dienst.«
»Bist du etwa noch Jungfrau?«, fragte er, als wäre ihm plötzlich ein Licht aufgegangen. »Nein.« »Sicher?« » Allerdings.«
»Hast du jung angefangen? Mit dem Sex, meine ich.«
»Mit vierzehn wurde ich vergewaltigt, zusammengeschlagen und liegen gelassen, weil sie mich für tot hielten. Ja, man könnte sagen, ich habe früh angefangen.«
Endlich hielt er die Klappe.
Manche sogenannten Musiker waren so dämlich, dass sie nicht mal Noten lesen konnten. Wegen ihrer Blödheit verbrachte er Stunden damit, sich Kassetten ihrer Songs anzuhören und die Noten aufzuschreiben, damit andere Doofköpfe den Dreck dann nachspielen konnten. Er hatte ein paar große Namen transkribiert, das Geld war nicht besonders, aber so hatte er mehr Zeit für sich, musste nicht so lange die Sozialmaske tragen.
Früher hatten die anderen Kinder ihn verspottet. Sie stahlen ihm sein Pausenbrot, sein Geld - wenn er welches hatte - und seine Klamotten. Nicht, weil sie sie wollten. Er hatte nichts, was irgendwer wollte; sie waren einfach bloß gemein. Seine Mutter hatte versucht, ihn dazu zu animieren, sich zu wehren, sie verhöhnte ihn mit denselben Worten wie die Kinder, Worten wie Feigling, Baby, Weichei. Später wuchsen diese Worte, wurden |
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