Anne Gracie
so
zärtlich und gleichzeitig so gefährlich ...
Doch es gab
da irgendeinen Grund, aus dem sie ihm nicht nachgeben durfte, aus dem sie gegen
ihn ankämpfen musste und auch gegen sich selbst ... nur wollte ihr dieser Grund
im Moment einfach nicht einfallen.
Ganz
langsam senkte er den Kopf. Sie wusste, sie sollte ihn wegschieben oder
wenigstens das Gesicht abwenden ...
Aber ihre
Wange ruhte noch immer in seiner Hand, und das fühlte sich so gut an, dass Nell
es nicht über sich brachte, sich zurückzuziehen. Außerdem waren seine grauen
Augen so bezwingend, dass sie sich ohnehin nicht mehr bewegen konnte.
Und sie war
es so müde, gegen die Welt zu kämpfen und allein zu sein, immer nur allein. War
viel zu müde, ihm noch weiter Widerstand zu
leisten. Ein einziger Kuss konnte doch gewiss nicht schaden, oder? Nur ein
Kuss, als Trost ... für die kalten Nächte, die vor ihr lagen ... Seine Lippen
berührten die ihren, ganz leicht, wie ein warmer Hauch, und sie wurde innerlich
ganz weich.
Mit beiden
Händen umrahmte er nun ihr Gesicht und sie fühlte sich plötzlich kostbar und
behütet. Ganz sanft bedeckte er ihre Lippen mit
kleinen, zarten Küssen. Sie war im Grunde noch nie geküsst worden, jedenfalls
nicht so. Sie hatte fast damit gerechnet, dass er stürmisch von ihrem Mund
Besitz ergreifen würde, doch diese unerwartete Zärtlichkeit ließ sie
dahinschmelzen.
Sein Blick
brannte sich in ihre Seele und sie schloss die Augen. Trotzdem konnte sie ihn
noch spüren, so wie man die Sonne noch bei geschlossenen Lidern spüren konnte.
Mit der
Zunge zeichnete er die Umrisse ihrer Lippen nach. Da sie die Augen geschlossen
hatte, empfand sie jede einzelne seiner
Berührungen noch intensiver. Wieder und wieder liebkoste er sie auf
diese Weise, und sie klammerte sich hilflos an seine Schultern, überwältigt von
den warmen, köstlichen Empfindungen, die
sie durchströmten. Schließlich öffnete sie ihm ihre Lippen und er küsste sie
richtig. Sie erschauerte, als sie den berauschenden Geschmack von Kaffee und
Harry Morant auf ihrer Zunge spürte.
Sie zog ihn
näher an sich und schwelgte in dem überwältigenden Gefühl, seinen Körper an
ihrem zu spüren: Härte und mühsam gezügelte Kraft. Sie erwiderte seinen Kuss
so, wie er sie geküsst hatte, anfangs noch zögernd, dann immer selbstsicherer,
und erkundete ihn mit Mund und Zunge auf die gleiche Art, wie er sie erkundet
hatte.
Sie schob
die Finger in sein dichtes, dunkles Haar, und als er wieder die Führung
übernahm, schmiegte sie sich fester an ihn.
Er stöhnte
auf. „Komm mit mir nach Hause, nach Firmin Court, und heirate mich“,
murmelte er. „Ein solches Leben passt nicht zu dir. Und du wirst London
hassen.“
Erschrocken
löste sie sich aus seiner Umarmung und wich schwankend zurück an die Wand. Das
Gefühl des rauen, kühlen Steins unter ihren Handflächen gab ihr Halt. „Was
haben Sie gesagt?“, fragte sie, ohne auf sein Du einzugehen.
Auch er
wurde wieder förmlich. „Ich habe Sie gebeten, mich zu heiraten.“ Harry
runzelte die Stirn. „Das kann keine große Überraschung für Sie sein, ich habe
Sie schließlich schon einmal darum gebeten.“
„Ja, aber
Sie haben es nicht ernst gemeint.“
„Ich meinte
es sehr ernst.“ Er hob ihre Hand und küsste sie auf die Handfläche.
„Erinnern Sie sich nicht mehr?“
Ihre Hand
prickelte, als Nell an die Begegnung im Stall dachte und daran, wie erregt er
gewesen war, und schnell entzog sie sie ihm. Ihre Wangen glühten. Natürlich
erinnerte sie sich, sie würde und konnte es nie mehr vergessen. „Wir sind uns
erst zweimal begegnet.“
Er
schüttelte den Kopf. „Dreimal – das erste Mal im Wald, wissen Sie noch? Aber
zwei Male haben schon genügt.“
Sie
verstand es einfach nicht. „Sie wissen nichts über mich und
Weitere Kostenlose Bücher