Anne Gracie
Tod? Die dich noch dazu schon
zweimal zurückgewiesen hat, weil sie lieber für diese grässliche Person
arbeitet – das nennst du ,passend`?“
Einen
Moment lang wusste Harry nicht, was er sagen sollte. Er konnte seiner ältlichen
verwitweten Tante kaum gestehen, dass er Nell in erster Linie leidenschaftlich
begehrte. Sie wartete jedoch und ihm war klar, dass er ihr irgendeine Erklärung
schuldig war. „Sie braucht jemanden, der sich um sie kümmert“, verkündete
er schließlich.
„Da stimme
ich dir zu, aber das gilt für die Hälfte der Bevölkerung in England. Und falls
es deiner Aufmerksamkeit entgangen sein sollte, sie hat eine Anstellung, was
wiederum auf die Hälfte der Bevölkerung nicht zutrifft.“
Das
stimmte. Allerdings kannte er die Hälfte der Bevölkerung nicht persönlich, und
es machte ihn einfach wütend, diese dunklen Ringe unter Nells Augen zu sehen.
Dennoch konnte er seiner Tante diese Gefühle irgendwie nicht erklären. Er
konnte das, was er für Nell empfand, nicht in Worte fassen. Er wusste nur, dass
es keine Liebe war.
Er kannte
die Liebe. Nie wieder würde er darauf hereinfallen. „Sie kann gut mit Pferden
umgehen“, lautete sein nächstes Argument.
Tante Maude
starrte ihn verblüfft an und gab dann einen erstickten Laut von sich. „Sie
kann gut mit Pferden umgehen, natürlich.“ Sie prustete los. „Warum habe
ich daran bloß nicht gedacht? Sie kann mit Pferden umgehen. Genau das, was ein
Mann sich von seiner Ehefrau wünscht.“ Sie zog ein Spitzentüchlein hervor.
„Ach, Harry, mein lieber Junge, das Leben war so langweilig, bevor du zu
Besuch gekommen bist.“ Sie tupfte sich die Lachtränen fort und wandte
sich, immer wieder leise auflachend, zum Gehen.
„Ich reite
aus“, rief Harry ihr nach. „Ich weiß noch nicht genau, wann ich
zurückkomme.“ Seine innere Anspannung war unerträglich, er musste sich
irgendwie abreagieren.
Sie blieb
auf der Treppe stehen und drehte sich zu ihm um. „Bleibst du nun eigentlich
doch bis Samstag? Du warst ursprünglich zum Dinner bei den Anstruthers
eingeladen, aber ich habe für dich abgesagt, weil du doch Samstag schon wieder
in Firmin Court sein wolltest.“
Harry
runzelte mit gespielter Überraschung die Stirn. „Wollte ich das?“
Natürlich erinnerte er sich ganz genau daran. Er hatte ihr das gesagt, weil er
sich allmählich von all den möglichen Bräuten erdrückt gefühlt hatte. Aber das
war, bevor er gewusst hatte, dass Nell in Bath war.
„Ja, du
meintest, du könntest Mr Delaney mit der vielen Arbeit nicht so lange allein
lassen.“
„Um diese
Jahreszeit kann man ohnehin nur begrenzt Arbeiten vornehmen“, wich er aus.
„Deshalb bleibe ich wohl doch noch ein paar Tage.“ Wenigstens so lange,
bis Nell nach London aufbrach. „Aber belasse es ruhig bei der Absage für die
Anstruthers, vielen Dank.“
„Und was
ist mit Mr Delaney?“
„Ach, Ethan
kommt schon zurecht. Er ist sehr tüchtig. Es gibt nichts, was er nicht
könnte.“
6. Kapitel
than
schwitzte über einem
Blatt Papier voller Tintenkleckse und durchgestrichener Wörter. Halblaut vor
sich hin fluchend mühte er sich mit der Schreibfeder ab. Alles war so viel
schwieriger, seit er in Firmin Court lebte. Auf dem Gutshof hatte er immer Mrs
Barrow bei dem einen oder anderen Wort um Rat fragen können.
Irgendwie
machte es ihm nichts aus, wenn Frauen Bescheid wussten. Mrs Barrow war zwar
sehr redselig, aber sie hatte noch nie einem anderen Menschen etwas von seinem
kleinen Problem erzählt.
Das Dumme
war, hier konnte er niemanden fragen.
Er
versuchte es erneut. Nein. Das war falsch, da war er sich ganz sicher.
Angewidert warf er die Feder hin. „Du bist ein Dummkopf, Ethan, und etwas
anderes wirst du nie sein.“
Neben ihm
klopfte ein Hundeschwanz auf den Boden.
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