Anne Gracie
gern gegen meinen
Willen in engen Räumen eingeschlossen.“
Harry
runzelte die Stirn. „Was ich Ihnen zu sagen habe?“
„Ja.“
Sie wartete.
„Ich hätte
es nicht tun sollen“, sagte er schließlich. „Ihnen diesen Kuss
aufzwingen, meine ich. Dafür bitte ich Sie um Verzeihung. Ich wollte nicht
respektlos sein, doch das ist keine Entschuldigung. Ich habe Sie wie ein
...liederliches Geschöpf behandelt.“
Sie
errötete, als sie an den Vorfall im Stall zurückdachte. Ihr war klar, dass er
sich nicht nur auf den Kuss bezog. Auch ihm war bewusst gewesen, wo sich ihre
Hand befunden hatte, zwischen ihren beiden Körpern.
Doch das
war unabsichtlich geschehen. Er hatte sie wie eine Frau behandelt, nicht wie
ein liederliches Geschöpf. Seither hatte sie wieder und wieder von diesem Kuss
geträumt.
„Ich hatte
nichts da...“ Sie verstummte. Wenn sie zugab, dass sie nichts dagegen
gehabt hatte, hielt er sie sicher für schamlos, wenn nicht sogar doch für ein
wenig liederlich. Sie suchte angestrengt nach einer angemessenen Antwort. Ich
verzeihe Ihnen, klang zu huldvoll. „Es ist schon in Ordnung“, sagte sie.
„Ich werde Ihnen das nicht vorhalten.“
Er zuckte
leicht zusammen und plötzlich merkte sie, was sie da gesagt hatte, und
erinnerte sich wieder, wie sie ihre Hand unbeabsichtigt an seinen Körper
gepresst hatte. Sie vor ihn gehalten hatte ...
„Ich meinte
das nicht wortwörtlich ...“, stieß sie erschrocken hervor und legte die
Hände an ihre glühenden Wangen. „Oh Gott.“ Wieder sah sie ihn an und seine
Miene wirkte so angespannt, dass Nell unwillkürlich leise auflachte. „Ich habe
mich so bemüht, würdevoll und sachlich zu sein“, gestand sie. „Aber das
habe ich ziemlich verpatzt, nicht wahr?“
Seine
Anspannung ließ nach und ein Ausdruck wehmütiger Belustigung trat in seine
Augen. „Ich glaube, das haben wir beide getan.“
Kurze Zeit
sagte keiner etwas. „Nun, wenn das alles war ...“ begann Nell. Sie war
sich sehr wohl bewusst, wie die Zeit verging. Sie wollte nicht in
Schwierigkeiten geraten.
„Nein, das
war gar nicht der Grund, warum ich Sie hierher gebracht habe“, erklärte
er. „Ich hatte nicht einmal daran gedacht, bis Sie mich fragten, was ich Ihnen
zu sagen hätte. Da fiel mir ein, dass ich Ihnen noch eine Entschuldigung
schuldete.“
„Was war
dann der Grund? Ich habe nicht viel Zeit ...“
Er sah sie
eine ganze Weile prüfend an. „Sie bekommen nicht genug Schlaf“, stellte er
schließlich fest.
Sie
blinzelte. „Sie haben mich hergebracht, um mir das zu sagen?“
Er legte
die Hand an ihre Wange und wandte ihr Gesicht sanft dem Licht zu. „Sie haben
violette Ringe unter den Augen“, sagte er leise. „Die sollten nicht dort
sein.“ Mit dem Daumen strich er behutsam über ihren Wangenknochen. „Und
Sie sind dünner geworden. Hier sind Mulden, die vorher nicht da waren.“
Sein Daumen liebkoste diese Mulden.
Nell
schluckte. Sie war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Sie hatte mit einem
Streit gerechnet, aber nicht mit dieser ... beinahe zärtlichen Anteilnahme.
Gegen so etwas konnte sie sich nicht zur Wehr setzen. Sie sah in seine
rauchgrauen Augen und atmete seinen sauberen, frischen Duft nach Rasierwasser,
frisch gewaschenem Leinen und einem Hauch von Kaffee ein.
„Sie
brauchen jemanden, der sich um Sie kümmert“, sagte er mit tiefer, warmer
Stimme. „Und ich bin der richtige Mann dafür.“
Sie spürte
seine Hand an ihrer Wange und hätte sich am liebsten hineingeschmiegt; hätte
sich am liebsten an ihn geschmiegt, an seinen großen, straffen Körper,
der so viel Sicherheit ausstrahlte, und alles weitere ihm überlassen. Es würde
alles so einfach sein, so viel leichter,
und er war so stark und anziehend. Und so wunderschön. Allein sein Mund ...
Weitere Kostenlose Bücher