Anne in Avonlea
auf den Rücken, aber er sah so beschämt und gequält drein, dass er mir Leid tat. Diana sagte, sie fürchte, wir wären vielleicht in einem unpassenden Augenblick vorbeigekommen. >Oh, nein, gar nicht<, sagte Mr Blair und versuchte zu lächeln, du weißt, er ist immer sehr höflich. >Ich habe nur ziemlich viel zu tun, wollte gerade einen Kuchen backen. Meine Frau hat vorhin ein Telegramm bekommen, dass heute Nachmittag ihre Schwester aus Montreal kommt. Sie holt sie vom Zug ab und hat mir aufgetragen, zum Tee einen Kuchen zu backen. Sie hat das Rezept aufgeschrieben und mir erklärt, wie ich der Reihe nach vorgehe, aber das meiste habe ich wieder vergessen. Und da steht: Nach Geschmack. Was heißt das? Wissen Sie das? Und was ist, wenn mein Geschmack zufällig nicht anderer Leute Geschmack ist? Reicht ein Esslöffel voll Vanille für eine kleine Schichttorte?< Mir tat der arme Mann noch mehr Leid als ohnehin schon. Das schien wirklich nicht sein Fach zu sein. Männer, die unter dem Pantoffel stehen, kenne ich vom Hörensagen, aber da hatte ich leibhaftig einen vor mir. Mir lag schon auf den Lippen: >Mr Blair, wenn Sie uns eine Spende für den Saal geben, rühre ich Ihnen den Teig an.< Aber dann fiel mir ein, dass es nicht gerade die feine Art ist, mit einem Menschen, der in höchster Not steckt, einen so gerissenen Handel zu treiben. Also bot ich ihm an den Teig anzurühren, ohne irgendwelche Bedingungen daran zu knüpfen. Er stürzte sich förmlich auf mein Angebot. Er sagte, vor seiner Heirat hätte er immer sein Brot selbst gebacken, aber er fürchte, Kuchen übersteige seine Fähigkeiten und er wollte seine Frau nicht enttäuschen. Er gab mir eine Schürze. Diana schlug die Eier auf und ich rührte den Teig an. Mr Blair rannte herum und holte die Sachen zusammen. Seine Schürze hatte er darüber völlig vergessen und wie er so umherflitzte, flatterte die Schürze hinter ihm drein. Diana konnte es kaum mehr mit ansehen. Er sagte, in den Ofen schieben könne er den Kuchen allein, damit kenne er sich aus. Dann fragte er nach unserer Liste und trug sich mit vier Dollar ein. Du siehst also, wir wurden belohnt. Aber auch wenn er nicht einen Cent gegeben hätte, dann hätten wir immerhin eine christliche Tat getan, indem wir ihm geholfen haben.«
Als Nächstes hatten sie bei dem Anwesen von Theodore White Halt gemacht. Weder Anne noch Diana waren jemals dort gewesen. Sie kannten nur Mrs Theodore flüchtig, die nicht gerade als gastfreundlich galt. Sollten sie an die Hinter- oder an die Vordertüre gehen? Als sie sich flüsternd berieten, erschien Mrs Theodore mit einem Arm voll Zeitungen an der Vordertür. Sie legte sie eine nach der anderen sorgsam auf den Verandafußboden und die Stufen zur Veranda und dann den Weg entlang genau bis vor die Füße der verblüfften Besucher.
»Würden Sie bitte sorgfältig Ihre Schuhe auf dem Gras abputzen und über die Zeitungen gehen?«, sagte sie besorgt. »Ich habe gerade das ganze Haus gefegt und ich möchte nicht, dass es wieder voller Dreckspuren ist. Der Weg ist ganz schlammig nach dem Regen gestern.«
»Fang ja nicht an zu lachen«, warnte Anne Diana flüsternd, als sie über die Zeitungen schritten. »Und ich flehe dich an, Diana, sieh mich nicht an, egal was sie sagt, oder ich kann nicht mehr an mich halten.« Die Zeitungen reichten quer durch den Flur und bis in ein tipptopp und makellos sauberes Wohnzimmer. Anne und Diana nahmen höchst vorsichtig auf den nächstbesten Stühlen Platz und brachten ihr Anliegen vor. Mrs White hörte ihnen höflich zu und unterbrach sie nur zweimal, einmal um eine verwegene Fliege zu verscheuchen, das zweite Mal, um einen winzigen Grashalm aufzuheben, der aus Annes Kleid auf den Teppich gefallen war. Anne war sich ihrer Schuld bewusst. Aber Mrs White trug sich mit zwei Dollar ein und bezahlte das Geld gleich. »Damit wir nicht noch einmal herkommen müssen«, sagte Diana, als sie sich wieder auf den Weg gemacht hatten. Mrs White hatte die Zeitungen aufgesammelt, noch ehe sie das Pferd losgebunden hatten. Als sie vom Hof fuhren, sahen sie sie geschäftig mit einem Besen durch den Flur wedeln.
»Man hat immer erzählt, Mrs Theodore White wäre die ordentlichste Frau der Welt-jetzt weiß ich es«, sagte Diana und brach in schallendes Gelächter aus, kaum, dass sie in sicherer Entfernung waren. »Was für ein Glück, dass sie keine Kinder hat«, sagte Anne ernst. »Für Kinder wäre es einfach unerträglich.«
Bei den Spencers war ihnen
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