Anne in Avonlea
darauf?«
»Das steht doch im Katechismus«, sagte Davy.
»0 nein, davon ist im Katechismus nicht die Rede, Davy.«
»Aber wenn ich’s dir doch sage«, beharrte Davy. »Es kommt in der Frage vor, die Marilla mir letzten Sonntag beigebracht hat. Warum wollen wir Gott ehren?« Es heißt: >Weil Er uns vor dem Verderben schützt und bewahrt.< Vor dem Verderben schützen, ist nur ein frommer Ausdruck für Kompott - Kompott wird auch eingemacht, um es vor dem Verderben zu schützen.«
»Ich muss einen Schluck Wasser trinken«, sagte Anne schnell. Als sie wieder kam, kostete es sie einige Zeit und Mühe, Davy zu erklären, dass der bestimmte Ausdruck in der besagten Katechismus-Frage eine völlig andere Bedeutung hatte.
»Hm, es wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein«, seufzte er schließlich enttäuscht. »Außerdem hab ich nicht verstanden, wie Er Zeit dazu hat, Kompott zu machen, und dann in einem Kirchenlied von einem ewig währenden Sonntag die Rede ist. Ich komme lieber nicht in den Himmel. Gibt es denn im Himmel wenigstens Samstage, Anne?«
»Doch, Samstage und jede Menge andere schöne Tage. Im Himmel ist ein Tag schöner als der andere, Davy«, versicherte Anne und war heilfroh, dass Marilla nicht dabei war, die entgeistert gewesen wäre. Marilla, selbstredend, erzog die Zwillinge nach den guten alten Bräuchen der Theologie und missbilligte jede phantastische Spekulation. Davy und Dora mussten jeden Sonntag ein Kirchenlied, eine Frage aus dem Katechismus und zwei Bibelverse lernen. Dora lernte fleißig und ratterte es herunter, ohne es zu begreifen und ohne jede Teilnahme, so als wäre sie eine Maschine. Davy hingegen zeigte eine lebhafte Neugier und stellte oft Fragen, die Marilla um seine Zukunft fürchten ließen.
»Chester Sloane sagt, wir tun im Himmel nichts anderes, als in weißen Kleidern herumzuspazieren und Harfe zu spielen. Er hofft, dass er erst als alter Mann in den Himmel kommt, weil es ihm dann vielleicht besser gefällt. Und er findet es scheußlich Kleider zu tragen und ich finde das auch. Warum dürfen Engel-Jungen nicht Hosen anziehen, Anne? Chester Sloane interessiert sich für solche Sachen, weil er Pfarrer werden soll. Er muss Pfarrer werden, weil seine Großmutter das Geld, das sie hinterlassen hatte, dafür bestimmt hat, um ihn aufs College zu schicken, und er bekommt es erst, wenn er Pfarrer ist. Sie meinte, ein Pfarrer in der Familie wäre sehr ehrenwert. Chester ist das ziemlich egal - obwohl er lieber Schmied werden würde -, aber er will es sich so lustig wie möglich machen, solange er noch kein Pfarrer ist, weil er hinterher bestimmt nicht mehr groß Spaß hat. Ich will nicht Pfarrer werden. Ich will Ladenbesitzer werden, so wie Mr Blair, und Haufen von Süßigkeiten und Bananen auf Lager haben. Und ich würde lieber in deinen Himmel kommen, wenn man mich Mundharmonika spielen lässt statt Harfe. Meinst du, sie erlauben das?«
»Ja, ich glaube schon, wenn du es möchtest«, war alles, was Anne sich zu sagen getraute.
Der D.V.V. traf sich an dem Abend bei Mr Harmon Andrews. Man hatte um vollzähliges Erscheinen gebeten, da es eine wichtige Angelegenheit zu besprechen gab. Der Verein florierte und hatte bereits wahre Wunder vollbracht. Gleich zu Frühjahrsanfang hatte Mr Major Spencer sein Versprechen eingelöst und entlang der Straße vor seiner Farm sämtliche Baumstümpfe entfernt, alles eingeebnet und neu eingesät. Ein Dutzend andere waren seinem Beispiel gefolgt. Einige wurden dazu angespornt, weil sie sich nicht von einem Spencer überflügeln lassen wollten, anderen hatten die Verschönerer einen Besuch abgestattet und sie dazu angestachelt. Das Ergebnis war, dass dort, wo ehedem Gestrüpp und Gebüsch gestanden hatte, jetzt in langen Streifen samtenes weiches Gras wuchs. Die Vorderseiten der Farmen, die nicht verschönert worden waren, sahen im Vergleich dazu so übel aus, dass sich deren Besitzer insgeheim derart schämten, dass sie im kommenden Frühjahr ebenfalls etwas unternehmen wollten. Das Dreieck an der Kreuzung war gesäubert und neu eingesät worden und mitten drin, ohne Schaden von einer plündernden Kuh fürchten zu müssen, war bereits Annes Geranienbeet angelegt worden.
Alles in allem kamen die Verschönerer also recht ordentlich voran, auch wenn Mr Levi Boulter, den eine sorgsam zusammengestellte Abordnung taktvoll wegen des alten Hauses auf seiner oberen Farm ansprach, ihnen barsch ins Gesicht sagte, dass sie sich da nicht einzumischen
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