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Anne in Windy Willows

Titel: Anne in Windy Willows Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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großes Interesse am Theaterspielen, dass sie sich zumindest während der Proben benahm. Und Anne mischte sich in die Regieführung nicht ein, sondern überließ alles Katherine. Ein- oder zweimal während dieser Zeit warf Jen ihr einen triumphierenden Blick zu, den Anne aber nicht zu deuten wusste und der sie verwirrte.
    Eines Nachmittags, nachdem die Proben schon begonnen hatten, traf Anne Sophy Sinclair im Garderobenraum. Sophy versucht verzweifelt ihre Tränen zurückzuhalten, brach dann aber in herzzerreißendes Schluchzen aus.
    »Ich hätte so gerne die Rolle gespielt - die von Königin Mary«, weinte sie. »Aber ich habe noch nie spielen dürfen. Vater erlaubt nicht, dass ich dem Klub beitrete, weil es Geld kostet und er jeden Pfennig zweimal umdrehen muss. Und ich habe natürlich auch keine Erfahrung im Theaterspielen. Aber ich habe schon immer eine Vorliebe für Königin Mary gehabt, schon bei ihrem Namen kribbelt es mir in den Fingerspitzen. Ich glaube nicht, und ich werde nie daran glauben, dass sie etwas mit dem Mord an Darnley zu tun hatte. Es wäre so wundervoll, wenn ich nur für eine kleine Weile in ihre Haut schlüpfen könnte.«
    »Ich schreibe die Rolle für dich heraus, Sophy, und gebe dir Unterricht«, sagte Anne sofort. »Es wird eine gute Übung für dich sein. Außerdem - wenn das Stück ein Erfolg wird, haben wir vor, es auch woanders zu spielen, und da wäre es gut, eine Ersatzdarstellerin zu haben, falls Jen einmal ausfällt. Aber wir sagen besser niemandem etwas davon.«
    Schon am nächsten Tag hatte Sophy ihren Text im Kopf. Jeden Nachmittag ging sie mit Anne nach Hause und studierte ihre Rolle im Turmzimmer ein und beide hatten viel Spaß zusammen. Das Stück sollte am letzten Freitag im November in der Stadthalle aufgeführt werden; überall wurden Werbeplakate aufgehängt und sogar die Reserveplätze waren sofort ausverkauft. Anne und Katherine brachten zwei Abende mit dem Dekorieren der Halle zu. Eine Musikgruppe wurde engagiert und ein bekannter Sopransänger aus Charlottetown ebenfalls, der zwischen den Akten singen sollte. Die Generalprobe klappte hervorragend. Am Freitagmorgen dann erschien Jen nicht in der Schule und am Nachmittag ließ ihre Mutter die Nachricht überbringen, dass sie eine schlimme Halsentzündung habe. Alle drückten ihr Bedauern aus, aber es war klar, dass sie ihre Rolle am Abend nicht spielen würde. »Wir werden das Stück ausfallen lassen müssen«, sagte Katherine langsam und ließ sich enttäuscht auf einen Stuhl sinken. »Dann können wir es ganz vergessen. Im Dezember hat niemand mehr Zeit für so etwas. Ich habe es von Anfang an für Unsinn gehalten, um diese Jahreszeit mit einem neuen Stück daherzukommen.«
    »Wir werden es nicht verschieben«, erklärte Anne mit fester Stimme. Sie wusste haargenau, dass Jen Pringle genauso wenig eine Halsentzündung hatte wie sie selbst, sagte aber Katherine Brooke nichts davon. Die Pringles hatten sich offenbar einen raffinierten Plan zurechtgelegt mit dem Ziel, das Stück zu ruinieren, nur weil Anne die Initiatorin war.
    »Wenn Sie meinen ...«, murmelte Katherine und zuckte mürrisch die Achseln. »Aber was wollen Sie tun? Jemanden finden, der die Rolle liest? Das würde das ganze Stück zerstören. Und ohne Mary ist das Spiel nichts wert.«
    »Sophy Sinclair kann die Rolle genauso gut spielen wie Jen. Das Kostüm passt ihr und zum Glück haben wir es ja schon hier.«
    Der Zuschauerraum war voll bis zum letzten Platz, als das Stück am Abend aufgeführt wurde. Sophy war überglücklich in ihrer Rolle als Mary - und sie war Mary, so wie Jen Pringle sie nie hätte spielen können, und sie sah auch noch aus wie Mary, in ihren Samtgewändern, mit der Halskrause und den Juwelen. Die Schüler der High-School, die Sophy nur in ihren dunklen, eintönigen Kleidern, ihrem unförmigen Mantel und den abgenutzten Hüten kannten, starrten sie verblüfft an. Es war schnell beschlossene Sache, dass sie Mitglied im Theaterklub wurde. Anne selbst zahlte ihren Mitgliedsbeitrag und von diesem Abend an gehörte Sophy zu den Schülern an der Summerside High-School, die »etwas zählten«. Keiner hätte jedoch damals auch nur im Traum daran gedacht, selbst Sophy nicht, dass sie damit den ersten Schritt auf der Erfolgsleiter zum Star getan hatte. Zwanzig Jahre später sollte sie eine der berühmtesten Schauspielerinnen Amerikas sein. Der tosende Applaus jedoch, mit dem sie an diesem Abend belohnt wurde, blieb ihr wahrscheinlich die

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