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Anne in Windy Willows

Titel: Anne in Windy Willows Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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gelacht. Manchmal frage ich mich, wie ein Lächeln ihr Gesicht wohl verändern würde.
    Pauline muss auch im selben Zimmer schlafen wie Mrs Gibson und es vergeht fast keine Stunde, in der sie ihr nicht den Rücken massieren, ihr Medizin geben oder ihr eine Wärmflasche holen muss - heiß, nicht lauwarm! Mrs Gibson pflegt nachmittags zu schlafen; nachts scheucht sie ihre Tochter herum.
    Aber Pauline ist dadurch kein bisschen verbittert, sondern gleich bleibend freundlich, selbstlos und geduldig. Sie hat einen Hund, den sie über alles liebt. Aber auch damit war Mrs Gibson nur einverstanden, weil sie einen Wachhund haben wollte, nachdem sie von einem Einbruch in der Stadt gehört hatte. Pauline achtet ängstlich darauf, dass ihre Mutter nicht merkt, wie sehr sie an dem Hund hängt, denn Mrs Gibson hasst ihn und schimpft, weil er Knochen ins Haus schleppt. Als ich heute Abend dort war, fiel mir auf, dass Pauline geweint hatte.
    »Pauline will mich verlassen, Miss Shirley«, erklärte Mrs Gibson in sarkastischem Ton. »Habe ich nicht eine reizende, dankbare Tochter?«
    »Ich will doch nur einen Tag weg, Mama«, sagte Pauline mit unterdrücktem Schluchzen und versuchte zu lächeln.
    »Nur für einen Tag, jaja! Sie haben ja keine Ahnung, was das für mich heißt, ein Tag! Wenn man so leidet wie ich, ist ein Tag wie eine Ewigkeit!« Die alte Frau machte ein mürrisches Gesicht.
    Ich wusste genau, dass Mrs Gibson nicht litt, und sagte deshalb lieber nichts dazu.
    »Ich kümmere mich natürlich um jemanden für dich, Mama«, sagte Pauline. »Wissen Sie«, fuhr sie an mich gerichtet fort, »meine Kusine Louisa aus White Sands feiert nächsten Samstag ihre Silberhochzeit und hat mich dazu eingeladen. Ich war ihre Brautjungfer damals, als sie Maurice Hilton heiratete. Ich würde so gerne hinfahren, wenn Mama es nur erlauben würde.«
    »Dann muss ich eben einsam sterben«, gab Mrs Gibson gequält von sich. »Das musst du mit deinem Gewissen ausmachen, Pauline.«
    Nach diesen Worten war mir klar, dass Pauline verloren hatte. Mrs Gibson bekam immer ihren Willen, indem sie an jemandes Gewissen appellierte. Auf diese Weise hat sie auch vor ein paar Jahren Pauline um eine Heirat gebracht.
    Pauline trocknete ihre Tränen und lächelte kläglich. Dann griff sie nach einem Kleid, das sie gerade umnähte.
    »Sei nicht gleich beleidigt, Pauline«, nörgelte Mrs Gibson. »Ich kann es nicht ausstehen, wenn jemand beleidigt ist. Und vergiss nicht, einen Kragen an das Kleid zu nähen. Können Sie sich das vorstellen, Miss Shirley, sie würde glatt den Kragen weglassen!«
    »Kragenlose Kleider sind in Mode«, erwiderte ich. »Kragenlose Kleider sind ungehörig«, bestimmte Mrs Gibson ungerührt. Ich trug natürlich eins.
    »Außerdem habe ich Maurice Hilton nie gemocht«, verkündete Mrs Gibson. »Seine Mutter war eine Crocket. Von Anstand hatte der noch nie etwas gehört. Immer hat er seine Frau zu den unpassenden Gelegenheiten geküsst!« Sie schnaubte verächtlich durch die Nase.
    »Aber, Mama, du weißt doch genau, dass das der Tag war, an dem sie beinahe von einem ausgebrochenen Pferd niedergetrampelt worden wäre«, widersprach Pauline sanft. »Da war es doch ganz natürlich, dass Maurice Angst um sie hatte und sie in die Arme nahm.«
    »Pauline, bitte widersprich mir nicht. Es war unpassend! Aber, natürlich, meine Meinung zählt ja schon lange nicht mehr. Alle warten bloß darauf, dass ich endlich sterbe. Ich weiß, ich falle dir nur zur Last. Ich könnte genauso gut sterben, keiner würde sich darum scheren.«
    »Sag das nicht, Mama!«, flehte Pauline und ließ fast das Kleid fallen.
    »Ich sage es aber doch«, bohrte sie weiter. »Sieh dich doch an, du gehst auf diese Silberhochzeit, obwohl du genau weißt, dass ich es nicht will.«
    Da hatten wir es!
    »Mama, hör zu, ich gehe nicht hin«, gab Pauline jetzt nach. »Es käme mir überhaupt nicht in den Sinn zu gehen, wenn du dagegen bist. Reg dich doch bitte nicht so auf.«
    »So, ich darf mich also noch nicht mal aufregen, um ein bisschen Abwechslung in dieses trostlose Leben zu bringen? Sie wollen doch nicht etwa schon gehen, Miss Shirley?«
    Ich hatte das sichere Gefühl, wenn ich noch länger bliebe, würde ich entweder verrückt werden oder Mrs Adonirams Nussknackergesicht eine Ohrfeige verpassen. Deshalb gab ich vor, ich müsste noch ein paar Prüfungsaufgaben korrigieren.
    »Ich verstehe, zwei alte Frauen wie wir sind natürlich kein besonders amüsanter Umgang für ein junges

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