Anne in Windy Willows
ich muss mich mit meinem Schicksal abfinden. Dann soll sie also in Gottes Namen gehen. Schließlich hat sie schon immer ihren Willen durchgesetzt. Ich bin jedenfalls nicht schuld, wenn sie sich Mumps holt oder giftige Insektenstiche. Ich muss mich dann eben allein zurechtfinden. Oh, ich weiß. Sie werden da sein, Miss Shirley, aber Sie kennen sich nicht so aus wie Pauline. Naja, für einen Tag werde ich es aushalten. Und wenn nicht, was macht das schon für einen Unterschied.«
Das war nicht gerade eine gnädige Zustimmung, aber immerhin. Anne wunderte sich über sich selbst, als sie sich vor Erleichterung über Mrs Gibson beugte und ihr einen Kuss auf die Wange gab. »Danke«, sagte sie.
»Bei Ihren Überredungskünsten«, sagte Mrs Gibson widerstrebend und bot Anne ein Pfefferminzbonbon an.
»Wie kann ich Ihnenjemals danken, Miss Shirley?«, sagte Pauline später, als sie Anne auf dem Heimweg ein kleines Stück begleitete.
»Indem Sie sich freuen, nach White Sands zu fahren, und sich gut amüsieren«, antwortete Anne und legte ihr den Arm um die Schulter.
»Oh, das werde ich ganz bestimmt!«, beteuerte Pauline begeistert. »Sie können sich gar nicht vorstellen, was das für mich bedeutet! Es ist nicht nur, dass ich Louisa gern sehen möchte. Das alte Lucky-Haus nebenan soll verkauft werden und ich wollte es so gerne noch einmal sehen, bevor fremde Leute dort einziehen. Mary Luckley war meine beste Freundin, als ich ein Kind war. Wir waren wie Schwestern und haben so gern bei ihr zu Hause gespielt. So oft habe ich davon geträumt, dieses Haus noch einmal zu sehen. Mama sagt, ich sei zu alt zum Träumen. Finden Sie das auch, Miss Shirley?« Sie sah mit leuchtenden Augen zu Anne hoch.
»Man ist nie zu alt zum Träumen«, erwiderte die. »Und Träume werden niemals alt.«
»Wie schön, dass Sie das sagen. Oh, Miss Shirley, fünfzehnjahre ist es her, seit ich den Golf zum letzten Mal gesehen habe! Der Hafen hier ist zwar auch schön, aber einfach nicht zu vergleichen mit dem Golf. Ich fühle mich wie im siebten Himmel! Und das alles habe ich Ihnen zu verdanken! Mama hätte mich nie gehen lassen, wenn sie Sie nicht gern hätte. Sie verstehen es wirklich, Menschen glücklich zu machen, Miss Shirley!«
»Das ist das schönste Kompliment, das ich jemals gehört habe, Pauline«, sagte Anne leise.
»Ich weiß nur nicht so recht, was ich anziehen soll«, überlegte Pauline. »Mein altes schwarzes Taftkleid ist doch für eine Silberhochzeit viel zu traurig, finden Sie nicht? Außerdem habe ich es vor sechs Jahren bekommen und es ist mir mittlerweile viel zu weit.«
»Da müssen wir wohl Ihrer Mutter eröffnen, dass Sie ein neues Kleid brauchen«, sagte Anne zuversichtlich.
Aber in diesem Punkt kam sie nicht gegen Mrs Gibsons Starrköpfigkeit an. Paulines schwarzes Taftkleid war für Louisa Hiltons Silberhochzeit gut genug.
»Der Stoff hat mich vor sechs Jahren zwei Dollar pro Meter gekostet und drei Dollar hat mir die Schneiderin abgeknöpft. Jane Sharp verstand was von ihrem Fach. Pauline und ein helles Kleid! Sie würde glatt in Scharlachrot daherkommen, wenn man sie ließe. Schon allein deswegen lauert sie darauf, dass ich endlich sterbe. Warte nur, bald bist du mich los, Pauline, und dann kannst du herumlaufen wie ein Papagei. Aber solange ich noch lebe, ziehst du dich anständig an!«
»Ich werde einfach nicht an mein Aussehen denken. Hauptsache, ich bin glücklich, dass ich gehen darf«, machte Pauline sich Mut, während sie mit Anne im Garten noch einen Strauß Lilien und Flammende Herzen für die Witwen pflückte.
»Ich habe da eine Idee«, sagte Anne zögernd und warf einen vorsichtigen Blick in Richtung Wohnzimmerfenster. »Sie kennen doch mein silbergraues Popelinkleid? Ich leihe es Ihnen einfach für die Silberhochzeit aus.« Gespannt wartete sie auf Paulines Antwort.
Die ließ vor Aufregung den Blumenstrauß fallen. »Oh, d-das kann ich nicht annehmen«, stammelte sie. »Mama wird das nie erlauben.«
»Sie wird gar nichts davon erfahren. Hören Sie zu! Samstag früh ziehen Sie es einfach unter Ihrem schwarzen Taftkleid an. Das Popelinkleid passt Ihnen bestimmt, und weil es keinen Kragen hat, wird niemandem etwas auffallen. Und sobald Sie weg sind, ziehen Sie das Kleid darüber aus.«
»Aber ist Ihr Kleid nicht zu jugendlich für mich?«, fragte Pauline ängstlich.
»Überhaupt nicht. Grau kann man in jedem Alter tragen.«
»Finden Sie nicht, dass wir Mama damit hintergehen?«, hakte Pauline noch
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