Anne in Windy Willows
Mädchen«, konterte Mrs Gibson. »Pauline ist nicht gerade ein fröhliches Wesen, nicht wahr, Pauline? Kein Wunder, dass Miss Shirley nicht länger bleiben will.«
Pauline begleitete mich bis zur Veranda. Es war so ein herrlicher Frühlingsabend, aber in Paulines sanften Augen standen die Tränen. »So gerne würde ich zu Louisas Silberhochzeit gehen«, sagte sie leise und stieß einen langen Seufzer aus. »Sie werden auch gehen«, bekräftigte ich.
»0 nein, ich kann nicht. Mama wird es nie erlauben. Ich werde einfach nicht mehr daran denken. Ist der Mond nicht schön heute Abend?«, sagte sie in lautem, betont heiterem Ton. »Den Mond anstarren, als ob das was Gutes bringt!«, rief Mrs Gibson vom Wohnzimmer aus. »Hör auf, da draußen herumzuzwitschern, Pauline. Komm rein und bring mir meine roten Schlafzimmerpantoffeln. Die drücken mich zwar immer wie wahnsinnig, aber keiner kümmert sich darum, wie ich leide.« Die arme Pauline! Und sie wird auf diese Silberhochzeit gehen, so wahr ich Anne Shirley heiße!
Zu Hause erzählte ich empört Rebecca Dew und den beiden Witwen von meinem Besuch. Wir stellten uns Mrs Gibson vor und machten uns einen Riesenspaß daraus, ihr alles Mögliche an den Kopf zu knallen. Tante Kate glaubt nicht daran, dass ich Mrs Gibson umstimmen kann, aber Rebecca Dew vertraut auf mich. »Wenn Sie es nicht schaffen, schafft es keiner«, behauptete sie. Naja, wir werden ja sehen!
Neulich war ich bei Mrs Tom Pringle eingeladen, das ist die, die mich damals nicht als Pensionsgast aufnehmen wollte. Ich bin froh, dass sie mich nicht aufgenommen hat. Sie ist zwar nett und liebenswürdig und ihre Pasteten sind unübertrefflich, aber ihr Haus ist nicht Windy Willows und sie wohnt nicht in der Spook's Lane und sie ist schon gar nicht Tante Kate und Tante Chatty und Rebecca Dew. Ich hänge sehr an den dreien und ich werde auch die nächsten beiden Jahre bei ihnen wohnen. Meinen Stuhl nennen sie schon »Miss-Shirley-Stuhl« und Tante Chatty hat mir erzählt, dass Rebecca Dew immer den Tisch für mich eindeckt, wenn ich nicht da bin, damit er »nicht so verlassen« aussieht.
Die kleine Elizabeth und ich gehen jetzt zweimal in der Woche zusammen fort. Mrs Campbell hat es erlaubt, »aber auf keinen Fall öfter, und schon gar nicht sonntags«. Im Frühling bekommt sogar das alte düstere Haus, in dem Elizabeth lebt, ein wenig Sonne ab. Nach außen hin sieht es sogar fast schön aus, wenn die Schatten der Baumwipfel sich hin und her bewegen. Manchmal gehen wir in die Stadt und sehen uns die beleuchteten Schaufenster an. Meistens jedoch schlagen wir den Weg ein, der zum Ende der Welt führt, und bei jeder Biegung sind wir ganz gespannt, so, als ob dahinter plötzlich »Morgen« vor uns läge.
Manchmal beobachten wir auch die Schiffe, die der Wind langsam in den Hafen treibt, und Elizabeth stellt sich dann vor, dass auf einem der Schiffe ihr Vater ist. Sie gibt die Hoffnung nicht auf, dass er eines Tages zu ihr kommt, und ich bin sicher, er würde tatsächlich kommen, wenn er nur wüsste, was für eine nette Tochter er hat. Wahrscheinlich stellt er sie sich immer noch als das Baby vor, das damals schuld war am Tod seiner Frau.
Bald ist mein erstes Jahr in Summerside zu Ende. Das erste Trimester war ein Alptraum, aber die beiden letzten waren schön. Die Pringles sind in Wirklichkeit erstaunlich nette Leute. Wie konnte ich sie jemals mit den Pyes vergleichen? Sid Pringle hat mir heute ganz verlegen einen Strauß Wachslilien überreicht. Jen wird Klassensprecherin und Miss Ellen soll gesagt haben, ich sei die erste Lehrerin, die wirklich Verständnis für Kinder hat. Das einzige Haar in der Suppe ist Katherine Brooke, die nach wie vor unfreundlich und kühl zu mir ist. So langsam habe ich keine Lust mehr, mich um ihre Freundschaft zu bemühen. Schließlich hat alles seine Grenzen, wie Rebecca Dew sagt. Übrigens heiratet Sally Nelson im Juni und sie hat mich als Brautjungfer zur Hochzeit eingeladen. Nora wird dann die letzte von den sechs Nelson-Mädchen sein, die noch nicht verheiratet ist. Jim Wilcox ist zwar seit Jahren mit ihr befreundet, aber es ist ein ewiges Auf und Ab, sodass niemand mehr an einen guten Ausgang glaubt. Ich mag Sally zwar ganz gern, aber Nora interessiert mich mehr. Sie ist allerdings um einiges älter als ich und ziemlich zurückhaltend und stolz. Aber irgendetwas Besonderes ist an ihr, obwohl sie auch nicht hübsch oder besonders gebildet ist.
Und wo ich gerade vom Heiraten
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