Anne in Windy Willows
über Vera Frys Federkiel gesagt hat, beweist ja schon alles. Veras Verlobter schenkte ihr eine selbst angefertigte Feder mit den Worten: >Auf dass dein Geist zum Himmel emporschwinge wie der Vogel, der einst diese Feder trug.< Sind das nicht wunderbare Worte? Terry hingegen sagte bloß: >Die Feder wird bald abgenutzt sein, wenn Vera so viel schreibt, wie sie redet.< Er hat den Sinn überhaupt nicht kapiert.«
»Was war denn der Sinn?«, hakte Anne ein. Der erste vollständige Satz!
»Ach so, also, äh, dieses Emporschwingen eben. Vom Boden abheben. Haben Sie Veras Ring gesehen? Ein Saphir. Ich finde ja, Saphire sind für Verlobungsringe viel zu dunkel. So ein netter, romantischer Perlenring wie Ihrer würde mir viel besser gefallen. Terry wollte mir auch schon einen Ring andrehen, aber es wäre wie eine Fessel - so endgültig. Und so würde ich doch nicht empfinden, wenn ich ihn wirklich lieben würde, habe ich Recht?«
»Ich fürchte, ja«, antwortete Anne gelassen.
»Es tut mir ja so gut, jemandem zu erzählen, wie ich wirklich fühle. Miss Shirley, bitte, sprechen Sie doch mit Terry, sagen Sie ihm, was ich fühle ... Er findet Sie einfach großartig! Auf Sie hört er mit Sicherheit.« Hazel starrte Anne flehend an. »Hazel, wie stellst du dir das vor?«, wehrte die ab.
»Wieso?« Hazel feilte ihren letzten Fingernagel und legte dann die Feile mit Trauerblick beiseite. »Wenn Sie nicht mit ihm sprechen können, kann es niemand. Aber ich werde Terry Garland nie, nie heiraten können!«
»Wenn du Terry nicht liebst, solltest du hingehen und es ihm selbst sagen, auch wenn es ihm viel ausmacht«, sagte Anne fest. »Eines Tages wirst du jemanden finden, den du wirklich lieben kannst, und dann wirst du dir plötzlich ganz sicher sein.«
»Ich werd nie wieder jemanden lieben«, erklärte Hazel und stand auf. »Liebe bringt nichts als Kummer, das weiß ich jedenfalls. Wäre das nicht überhaupt ein toller Stoff für eine Ihrer Geschichten, Miss Shirley? Ich muss gehen, ich habe gar nicht bemerkt, wie spät es schon ist. Jetzt, wo ich mich Ihnen anvertraut habe, geht es mir gleich um so viel besser. Heute Nacht werde ich schlafen können, Miss Shirley. Ich habe kaum geschlafen, seit mir die Verlobung mit Terry passiert ist - wie es passieren konnte, ist mir ein Rätsel!« Hazel warf ihr Haar zurück und setzte ihren reich besetzten Blumenhut auf, der ihr wirklich gut stand.
»Du siehst wunderhübsch aus, Hazel«, sagte Anne voller Bewunderung.
Hazel regte sich nicht. Dann richtete sie ihren Blick himmelwärts und flüsterte hingebungsvoll: »Niemals werde ich diesen wundervollen Augenblick vergessen, Miss Shirley. Ich fühle direkt den Segen meiner Schönheit - falls ich eine besitze. Ach, Miss Shirley, Sie haben ja keine Ahnung, wie schrecklich es ist, wenn man als schön gilt, und welche Ängste man damit aussteht. Es ist die reinste Qual.« Damit stolzierte sie endlich die Treppe hinunter.
Nachdem Anne sie bis zur nächsten Straßenecke begleitet hatte, sagte Rebecca Dew, als sie wieder zurück war: »Wie ich sehe, leben Sie noch. Ich frage mich, wie Sie es schaffen, ihrem Wortschwall standzuhalten.«
»Ich mag sie, Rebecca, wirklich«, lachte Anne und klappte die Haustüre zu. »Ich war als Kind genauso ein Plappermaul. Allerdings weiß ich nicht mehr, ob ich auch so albernes Zeug geredet habe, wie Hazel es manchmal tut.«
»Ich habe Sie zwar noch nicht gekannt, als Sie klein waren, aber das glaube ich nicht«, erwiderte Rebecca. »Was Sie sagen, meinen Sie auch, egal, wie Sie es ausdrücken, aber auf Hazel Marr trifft das nicht gerade zu. Sie spuckt bloß große Töne.«
»Natürlich übertreibt sie ein bisschen, wie die meisten anderen Mädchen auch, aber ich glaube schon, dass sie zumindest manches so meint, wie sie es sagt«, sagte Anne und dachte dabei an die Sache mit Terry. Sie hatte selbst keine besondere Meinung von ihm. Er war ein gut aussehender, aber nicht gerade charakterfester Junge, der sich in jedes erstbeste Mädchen verliebte, das ihm schöne Augen machte. Sobald sich seine Nummer eins von ihm abwandte, verliebte er sich in die Nächste.
Er machte sich auch an Anne heran, während Hazel Freunde in Kingsport besuchte. Anne und Terry duzten sich, weil sie zufällig gleichaltrig waren; trotzdem fühlte sich Anne ihm gegenüber wesentlich älter. Auf einer Party im Mondschein wurde Terry einmal so sentimental, dass Anne ihm in Erinnerung rufen musste, dass es auch noch eine Hazel
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