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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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eine Urne in den Händen. Sie war eine dem Römischen anverwandelte Gottheit gewesen.
    Vielleicht war mit der Göttin Kybele in Rom das Gleiche geschehen. Rom vereinnahmte vieles und machte es römisch.
    Nur wenige Jahrhunderte später sollte Rom – obwohl ich damals keine Ahnung davon hatte; wie wäre das auch möglich gewesen – die Anhänger des Jesu von Na-zareth vereinnahmen und formen und aus seinen Christen die römisch-katholische Kirche bilden.
    Ich nehme an, dass dir die moderne Redewendung
    »Bist du in Rom, verhalte dich wie ein Römer« vertraut ist.
    Doch hier, in diesem rötlichen Dämmerschein, umgeben von flackernden Lichtern und einem moschusartigen Weihrauchduft, wie ich ihn in solcher Intensität nie zuvor erlebt hatte, ärgerte ich mich im Stillen über meine Zag-haftigkeit. Dann senkten sich die Träume wie zahllose Schleier, einer nach dem anderen, auf mich herab und hüllten mich ganz ein. Sogleich sah ich die schöne Königin: Sie weinte. Nein. Sie schrie. Rief um Hilfe.
    »Fort von mir«, flüsterte ich in die mich umgebende Luft. »Hinweg von mir alles, was unrein und böse ist. Fort von mir, wenn ich das Haus meiner heiligen Mutter betrete.«
    Die Priesterin nahm mich bei der Hand. Ich hörte Stimmen aus meinem Traum, die heftig stritten. Ich strengte meine Augen an, um die Tempelbesucher deutlich zu sehen, die zum Allerheiligsten strebten, um zu meditie-ren, Opfer darzubringen oder um etwas zu erbitten. Ich versuchte mir klar zu machen, dass ich mich in einer großen, geschäftigen Menge befand, kaum anders als in Rom.
    Aber die Berührung der Priesterin schwächte mich. Ihre geschminkten Augen lösten Schrecken in mir aus. Ihr breiter Halsschmuck blendete meine Augen. Diese vielen Reihen flacher Steine.
    Sie führte mich in ein für das Publikum nicht zugängliches Gelass des Tempels und bot mir eine üppig gepolsterte Liege an. Ich sank erschöpft darauf nieder. »Alles Böse weiche von mir«, hauchte ich. »Auch die Träume.«
    Die Priesterin setzte sich neben mich und schloss mich in ihre seidenglatten Arme. Ich sah auf und blickte in eine Maske!
    »Sprich zu mir, du Leidende«, sagte sie; ihr Latein hatte einen starken Akzent. »Sag mir alles, was ans Licht des Tages kommen muss.« Und ganz plötzlich – ich hatte keine Kontrolle darüber – schüttete ich meine ganze Geschichte vor ihr aus: die Vernichtung meiner gesamten Familie, meine Schuld, meine Seelenqualen.
    »Wenn ich nun der Grund für den Untergang meiner Familie war – mein Glaubensbekenntnis im Tempel der Isis? Was, wenn Tiberius sich daran erinnert hat? Was habe ich getan? Die Priester wurden gekreuzigt, und ich habe tatenlos zugesehen. Was verlangt die Mutter Isis von mir? Ich möchte sterben.«
    »Das verlangt sie bestimmt nicht«, sagte die Priesterin, ohne den Blick von mir zu wenden. Ihre Augen waren riesengroß, oder lag es nur an der Schminke? Nein, ich konnte das Weiße in ihren Augen erkennen, so glänzend und rein. Von ihren geschminkten Lippen flossen die Worte wie ein gleich bleibender Windhauch.
    Ich geriet schon bald in einen tranceähnlichen Zustand jenseits aller Vernunft. Ich murmelte etwas über meine Initiation, alles, was ich durfte, die Einzelheiten, die ich einer Priesterin erzählen konnte, da ja all diese Vorgänge ein großes Geheimnis waren, weißt du, aber ich bestätigte ihr, dass ich in den Riten die Wiedergeburt vollzogen hatte.
    Alle in mir verborgenen Schwächen wurden an die Oberfläche geschwemmt.
    Schließlich offenbarte ich meine Schuldgefühle. Ich bekannte, dass ich den Isis-Kult schon länger nicht mehr ausgeübt und in den letzten Jahren nur noch an der öffentlichen Prozession teilgenommen hatte, bei der die Göttin zum Gestade des Meeres hinabgetragen wurde, um die Schiffe zu segnen. Isis, die Göttin der Schifffahrt.
    Ich hatte kein frommes Leben geführt.
    Als die Isis-Priester gekreuzigt wurden, tat ich nichts und hatte mich nur hinter dem Rücken des Kaisers mit vielen anderen dagegen ausgesprochen. Zwischen mir und den Römern, die Tiberius für ein Ungeheuer hielten, gab es zwar eine Solidarität, aber wir erhoben unsere Stimmen nicht, um Isis zu verteidigen. Mein Vater hatte mir geboten zu schweigen. Ich gehorchte. Derselbe Vater hatte mir schließlich befohlen zu leben.
    Ich drehte mich um und glitt von der Liege herunter und lag ausgestreckt auf dem Boden. Ich weiß nicht, warum.
    Ich presste meine Wange gegen die kalten Fliesen. Die Kälte an meinem Gesicht tat

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