Annebelle - sTdH 2
Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich zu ziehen, runzelte man
die Stirn. Außerdem reizte es sie, daß Minerva nicht unter den Abweisungen zu
leiden schien, die sie selbst zu erdulden hatte. Die Gesellschaftslöwen hatten
nicht die geringste Lust, einer jungen Dame vom Lande mit eigenen Ansichten zu
lauschen, und ließen Annabelle schnell für irgendein schlichtes junges Ding
stehen, das mit einem Fächer zu flirten und geziert zu lächeln verstand.
Annabelle
wußte nicht, daß sie auf der Höhe der Saison als regierende
Schönheit gelten würde und daß im Augenblick in den Londoner Salons nur die
hartgesottenen Junggesellen zu finden waren, die sich mehr für ihre Kleidung
als für die Damen interessierten.
Ihre
Eitelkeit ließ sie im Stich, und als die Jungen Ausgang von der Schule hatten,
war sie freudig bereit, ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen abzusagen,
damit sie mit ihnen die wilden Tiere im Zoo, die Westminster Abbey oder Astleys
Amphitheater besichtigen konnte. Wie ein Schulmädchen genoß Annabelle diese schlichten
Vergnügungen.
Bei ihrer
Rückkehr in Lady Godolphins Haus wurde sie von Mice, dem Butler der Lady,
darüber informiert, daß der Marquis von Brabington sie im Grünen Salon
erwarte; Mylady und Miss Armitage seien ausgegangen.
Annabelle
eilte leichtfüßig in den Grünen Salon. Sie hatte diesen Tag genossen, der sie
ein wenig dafür entschädigt hatte, daß ihr in der Londoner Gesellschaft so
wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden war, und so freute sie sich tatsächlich
sehr, den Marquis zu sehen.
Sie umarmte
ihn ganz ungekünstelt; ihr Gesicht glühte von der Kälte, und der Marquis
merkte, wie all seine Bedenken dahinschwanden. Er hatte begonnen, an der
Zuneigung seiner Liebsten zu zweifeln. Sie hatte auf keinen seiner Briefe
geantwortet. Doch als sie so selbstverständlich die Arme um ihn legte, tat
sein Herz einen Sprung. Er küßte sie leicht auf die Wange und führte sie zu
einem Sofa, wo er sie neben sich zog.
»Ich habe
dich vermißt«, sagte er herzlich. »Wo bist du heute gewesen?«
»Ich habe
meinen kleinen Brüdern Sehenswürdigkeiten gezeigt«, sagte Annabelle. »Im Grunde
hat mir das mehr Spaß gemacht als irgendeiner der großen Bälle oder eine der
Gesellschaften, die ich besucht habe.«
Das kam der
Denkweise des Marquis sehr entgegen. Er nahm ihre Hände in seine und lächelte
auf sie herab. »Ich habe auf meiner Rückreise bei Sylvester vorgesprochen, er
läßt liebe Grüße ausrichten.«
Annabelles
Gesicht nahm ein fast religiöses Strahlen an. Er hatte liebe Grüße
gesandt! Ehrgeiz, Eitelkeit, Liebe und Sehnsucht ergriffen wieder Besitz von
ihr. Oh, wenn nur der Marquis nicht die Absicht hatte, seinen Abschied von der
Armee zu nehmen!
»Wann
können wir Lord Sylvester in der Stadt zurückerwarten?« fragte Annabelle und
überlegte, ob sie ihm ihre Hand entziehen könnte, ohne ihn zu kränken.
»Morgen«,
sagte er. Er wollte ihr gerade berichten, wie begierig Lord Sylvester sei,
Minerva zu sehen, da sagte Annabelle plötzlich: »Wir haben noch gar nicht
darüber gesprochen, was du tun willst, wenn wir verheiratet sind.«
»Nun, ich
werde mit dir verheiratet sein, meine Süße.«
»Ich meine,
wirst du wieder zu deinem Regiment gehen?«
Der Marquis
blickte nachdenklich ins Feuer und seufzte leise. »Ich glaube, meine Tage als
Kämpfer sind vorbei«, sagte er. »Ich würde liebend gerne dabei sein, wenn wir
die Franzosen schließlich über die Pyrenäen treiben. Aber ich werde dann ein
verheirateter Mann sein, und außerdem ist da noch die Verantwortung für meine
Güter. Ich kann nicht mein Leben lang ein Landedelmann sein, der nicht zu Hause
ist.«
»Der Krieg
wird nicht ewig dauern«, sagte Annabelle. »Wenn du lieber für dein Vaterland
kämpfen willst als bei mir bleiben, werde ich dafür Verständnis haben.«
Er umfaßte
ihre Hand fester. »Du bist ein erstaunliches Mädchen, Annabelle. Der Krieg hat
viele Härten, aber ...«
Er hielt
inne, erinnerte sich an die rauhen Schilfmatten, die nachts unter den Bäumen
ausgebreitet wurden, die Uniformen, die an den Ästen hingen, das Bündel dünner
Zweige, auf das man sich bettete, den grünen Rasen als Kissen; er erinnerte
sich an das Quietschen der Ochsenkarren, die mit den von Maden befallenen
Körpern der Toten oder Sterbenden beladen waren; an das verrückte Hochgefühl
der Schlacht und die Kameradschaft seiner Männer.
»Aber er
ist nichts für Frauen«, lachte Annabelle.
»Oh, es
gibt dort Frauen
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