Annebelle - sTdH 2
sich der Gesellschaft im Ballsaal angeschlossen. So konnte sie unbemerkt
hineinschlüpfen.
Die
Mitglieder der Gesellschaft waren nach und nach wieder in der Stadt
eingetroffen; obwohl auch einige der ziemlich unansehnlichen Herren da waren,
die Annabelle bereits kennengelernt hatte, waren ihre Reihen inzwischen durch
etliche elegante Herren aufgefüllt worden. Mr. Brummel war nämlich in der
Stadt, und wo Mr. Brummel sich aufhielt, dahin folgte ihm die Gesellschaft.
Lorgnons hoben sich in Annabelles Richtung, Augen starrten, Köpfe fuhren herum.
Die schwer gedemütigte Annabelle bemerkte nicht, daß dieses Interesse ihrer
bestürzenden Schönheit galt.
Ihr erster
Gedanke war, daß alle das Ballkleid wiedererkannten, das ihre Schwester in der letzten
Saison getragen hatte, und sie errötete und schaute rechts und links nach ihrem
Mann aus.
Sie
entdeckte ihn nicht und war daher froh, als ein dünner, hochgewachsener Herr
mit Kavallerie-Backenbart und stockähnlichen Beinen sie um einen Tanz bat. Sie
tauschten einige scherzhafte Worte, wenn die Tanzfigur sie zusammenführte. Als
sie vor dem nächsten Tanz, wie es üblich war, umherschlenderten, sagte ihr
Partner: »Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Bryce. Sie haben etwas an
sich, das mir verdammt bekannt vorkommt.«
»Vielleicht
kennen Sie meinen Mann«, sagte Annabelle kühn. »Den Marquis von Brabington. Ich
frage mich, ob Sie ...«
Mr. Bryce
blieb wie angewurzelt stehen. »Dachte ich's doch«, sagte er und fuhr sich mit
dem Finger an der Innenseite des Hemdkragens entlang. »Sind Sie etwa die
Schwester der Minerva Armitage, die Comfrey geheiratet hat?«
»Ja, in der
Tat bin ich –«
»Zum
Teufel!« rief er aus. »Ich habe keine Lust, eine kalte Stahlkugel
zwischen die Rippen zu bekommen.«
»Ich
verstehe nicht«, sagte Annabelle.
»Oh, wissen
Sie, Comfrey hatte ein Duell mit Mr. Dubois wegen Ihrer Schwester. Ich war Mr.
Dubois' Sekundant. Ich muß sagen, es war der sauberste Schuß, den ich je
gesehen habe. Comfrey feuerte die Pistole direkt aus der Hand ab.«
»Davon hat
mir meine Schwester gar nichts erzählt!« Annabelle sah ihn mit großen Augen an.
»Darf ich
um die Ehre bitten?« Ein junger Mann mit heiterem Gesicht und lockigem Haar
war neben Annabelle stehengeblieben. Gerade wurde der nächste Tanz angekündigt.
Mr. Bryce überließ Annabelle ihrem neuen Partner mit einer gewissen
Erleichterung, und Annabelle sah ihm nach, als er auf eine Gruppe von Männern
zuging und eifrig zu sprechen begann.
Ein Duell
um Minerva, die tugendhafte Minerva, dachte Annabelle verblüfft. Und sie hat
nie ein Wort davon gesagt!
Es gab ihr
einen Stich, und sie versuchte, sich das Gesicht und die Gestalt des geliebten
Sylvester in Erinnerung zu rufen.
Doch in
diesem Augenblick sah sie ihren Mann.
Er tanzte
mit einem hübschen, dunkelhaarigen Mädchen. Sie lachte und sah ihm in die
Augen. Der Marquis war zweifellos eine sehr elegante Erscheinung; ein
maßgeschneiderter Abendanzug umschloß eng seine hochgewachsene Gestalt.
Annabelle sah zu ihm hinüber, wollte, daß er sie bemerke, und antwortete
mechanisch auf die Fragen ihres Partners.
In diesem
Moment kam Sir Guy Wayne aus dem Kartenzimmer, lehnte sich an eine Säule und
beobachtete die Tänzer. Er hatte ein hübsches Gesicht, aber harte, spöttische
Augen. Er trug sein Haar gepudert, trotz der Tatsache, daß dies dank der
schändlichen Mehlsteuer ziemlich aus der Mode gekommen war.
Er stand im
achtunddreißigsten Lebensjahr und war nie verheiratet gewesen. Sein Vermögen
war klein, sein Geschick beim Kartenspiel dagegen groß, und so konnte er
behaglich von der Dummheit anderer leben. An weiblicher Gesellschaft litt er
nie Mangel, da er sich auf unzufriedene junge Ehefrauen spezialisiert hatte.
Er hob sein
Monokel und musterte Annabelle einige Augenblicke lang. Endlich merkte er, daß
sein Freund, James Worth, direkt neben ihm stand.
»Wer ist
die blonde Schönheit?« fragte er gedehnt und wies mit dem Monokel in Annabelles
Richtung.
James Worth
kicherte. »Das ist die neue Marquise von Brabington«, sagte er. »Ganz hübsch –
wenn man etwas für Meißner Püppchen übrig hat.«
»Oh, das
habe ich. Sehrviel sogar. Sieh doch, wie sie mit den Augen ihren Mann verfolgt.
Und sieh, wie der tapfere Marquis zwar sehr genau weiß, daß sie da ist, aber
partout nicht hinsehen will«, sagte er nachdenklich. »Es kommt mir wie ein
Spiel vor.«
»Sie haben gestern geheiratet!« rief Mr. Worth aus.
»Dann
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