Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
auf. Die Frau war halb so alt wie sie und doppelt so hübsch. Annika bestellte drei Portionen Caesar’s Salad mit Hühnchen und sechs Mineralwasser, to go .
Die Kellnerin verschwand in Richtung Küche, Annika trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.
Am Tisch direkt neben ihr saßen vier weiße Männer Mitte zwanzig und aßen Hamburger mit Ketchup und Pommes frites. Ihr drehte sich der Magen um, und sie eilte zur Damentoilette. Der Boden war aus schwarzem Granit, und es gab einen Wickeltisch. Das hatte sie nicht erwartet. Das Wasser in der Toilette war blau. Als sie hineingepinkelt hatte, wurde es grün.
Thomas hätte dieses stille Örtchen gefallen. Vielleicht hätte er bemängelt, dass der Klorollenhalter lose war, aber sowohl die Einrichtung als auch die Sauberkeit hätten eindeutig seine Zustimmung gefunden. »Wenn die Toiletten, die die Gäste ja sehen können, schmutzig sind, wie sieht es dann erst in der Küche aus?«, pflegte er zu sagen. Einmal hatte sie geantwortet: »Das ist wie mit Eltern, die ihre Kinder in der Öffentlichkeit schlagen. Wie hauen die erst zu, wenn’s keiner sieht?« Thomas hatte sie ausdruckslos angeschaut. »Was haben Toiletten mit Kindesmisshandlung zu tun?«
Sie spülte, wusch sich die Hände und ging hinaus ins dunstige Sonnenlicht.
Die Salate waren fertig.
Sie bezahlte und ging zurück zum Wagen.
Frida bog auf die Ngong Road in Richtung Zentrum.
Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuße der Ngong Berge , dachte Annika.
Sie sah die berühmten Berge durch die Heckscheibe, griff nach der Kamera und filmte. Nicht besonders gelungen. Die in der Heckscheibe wackelnden Berge sahen genauso aus wie die baumbewachsenen Hügel, die sie ja auch waren.
Es war heiß und sehr schwül.
Die Straßen wurden schlechter, aber der Verkehr floss besser. Die Sonne verschwand. Der Wagen kam einigermaßen zügig vorwärts. Aus innerer Unruhe begann Annika zu filmen, ein junges Mädchen, das am Straßenrand Maiskolben grillte, Männer mit Handkarren. Sie spürte, wie die Taschen neben ihren Füßen wuchsen. Bald würde sie das Geld übergeben, die Sporttaschen mit beiden Händen aus dem Auto in einen Müllcontainer oder ein Loch in der Erde wuchten oder vielleicht in einen Gully, warum sonst wäre die Plastikplane so wichtig gewesen?
Der Stacheldraht blinkte, die Ölfässer sangen.
»Wo denn in Eastleigh?«, fragte Frida.
» Al-Habib Shopping Mall , 6th Street, 1st Avenue. Sagt dir das etwas?«
»Das hört sich so schick an«, sagte Frida. »Straßen, Avenues, Einkaufszentren … Little Mogadischu hat seinen Namen nicht ohne Grund.«
»Wie meinst du das?«, fragte Halenius.
»You’ll see …«
Die asphaltierte Straße war zu Ende. Auf der Fahrbahn gab es große Wasserlöcher. Lehm spritzte von den Reifen auf. Annika filmte Handkarren, Matratzen, Teppiche, Gewürze in Blechdosen, Müll, Papier, Plastik, verschleierte Frauen – ein großes organisiertes Chaos. Es war nicht wie Kibera, nicht so ein Slum. Aber der Verfall war ebenso groß. Die Menschen schoben sich dicht an den Scheiben vorbei, Annika begegnete ihren Augen auf dem Display. Dann gab es plötzlich einen harten Schlag gegen das Fenster unmittelbar neben ihr. Ein weiterer Schlag ging auf das Dach nieder. Plötzlich war das Auto von Männern umringt, die ihre Gesichter an die Scheiben drückten, rundherum Geschrei und erhobene Fäuste.
Hastig wandte Frida sich um und starrte Annika an.
»Filmst du? Hier?! Bist du nicht ganz bei Trost? Diese Leute sind Muslime, die dürfen nicht abgebildet werden!«
Annika ließ die Kamera fallen, als hätte sie sich daran verbrannt. Der Lärm nahm zu. Es hagelte Schläge.
»Oh, dear Lord« , sagte Frida. »Wenn sie bloß den Wagen nicht umwerfen …«
Das Auto wackelte, Annika hielt sich mit beiden Händen am Sitz fest. Die Kamera landete mit einem Knall auf dem Boden, irgendjemand riss an der Tür, die Räder drehten im Schlamm durch.
»Schalte in den ersten Gang«, sagte Halenius. »Fahr einfach langsam vorwärts.«
»Unmöglich!«, rief Frida. »Ich überfahre sie.«
»Sie gehen schon aus dem Weg«, sagte Halenius, »gib vorsichtig Gas.«
Die Straße war von Eseln und Karren und Leuten mit Handwagen verstopft, aber Frida machte, was Halenius sagte, und rollte hupend langsam vorwärts. Sie ließ den Motor aufheulen, und die Männer folgten ihnen, rissen an den Türen und schrien, aber Frida fuhr weiter.
»Da vorne rechts ist das Al-Habib «, rief sie. »Dort
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