Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
Million Dollar. Auf einem anderen Konto hatte sie ungefähr 200 000. Geld, das sie während ihrer Jahre in den Staaten gespart hatte.
»Die Entführer melden sich frühestens morgen Abend wieder. Aber wenn es Ihnen recht ist, komme ich gleich am Morgen wieder her. Es sind eine Menge Dinge vorzubereiten.«
»Müssen Sie sich nicht um Ihren Job kümmern?«, fragte sie.
»Doch. Genau das tue ich.«
Der Bügel klapperte, als er seine Jacke herunternahm. Mit bleischweren Beinen erhob sie sich vom Sofa und stellte sich in die Tür zum Flur. Er sah müde aus. Sein Haar wirkte dünner, als sie es in Erinnerung hatte.
»Was muss vorbereitet werden?«
Er kratzte sich am Kopf, so dass seine braunen Haare abstanden.
»Das kommt ganz darauf an, was Sie vorhaben. Wollen Sie den Rest alleine machen, oder sollen wir Ihnen helfen?«
Ein Anflug von Panik durchzuckte sie.
»Nicht alleine«, sagte sie.
Er nickte.
»Wir müssen eine Zentrale einrichten, von der aus wir agieren können, wo wir Ausrüstung und Notizen lassen können …«
»Ginge mein Schlafzimmer?«
»In einem Logbuch halten wir alles fest, was passiert. Und wir müssen die Zuständigkeiten aufteilen. Ich schlage vor, dass ich die Verhandlungen führe und Sie die Logistik übernehmen. Ihr Job wäre dann, dafür zu sorgen, dass die Technik funktioniert, dass wir ausreichend Essen und Kaffee haben, dass die Handys geladen sind. Ist das okay?«
Ihr Nacken verspannte sich ein wenig. Von der Entführungs-Unterhändlerin zur Kaffeemamsell in null Komma nichts. Na toll.
»Falls Ihr Festnetztelefon klingelt, während ich weg bin, müssen Sie das Aufzeichnungsgerät einschalten, bevor Sie den Anruf annehmen«, sagte er. »Falls die Entführer dran sind, sagen Sie nicht, dass Sie Thomas’ Frau sind. Sagen Sie, Sie sind die Babysitterin und alle sind für einen Moment außer Haus. Dann rufen Sie mich sofort an. Ich habe Ihnen alle meine Rufnummern in der Mail mitgeschickt.«
»Wissen Sie noch, was ich zu Ihnen gesagt habe, als wir uns das erste Mal begegnet sind?«, fragte sie. »Meine allerersten Worte?«
Jimmy Halenius zog den Reißverschluss hoch und klemmte sich die Aktentasche unter den Arm. Er zog sich sehr konzentriert die Handschuhe an, während er antwortete.
»Ich glaube, Sie sagten, dass nur Kleinkriminelle Namen hätten, die auf Ypsilon enden«, sagte er. »Das waren Ihre Worte. Und: ›Warum gibt es keine entflohenen Mörder, die Stig-Björn heißen?‹«
Er lächelte sie flüchtig an, öffnete die Wohnungstür und war weg.
TAG 3
Freitag, 25. November
SCHWEDISCHE
GEISELNAHME
IN NAIROBI
Familienvater Thomas entführt
Anders Schyman polierte seine Brille mit dem Hemdärmel und studierte die Titelseite mit ruhigem und angemessen neutralem Blick. Dieser Aufmacher war einer der besten des ganzen Jahres. Nicht nur, weil sie die Einzigen waren, die einen schwedischen Aufhänger hatten, sondern auch, weil Thomas Samuelsson so fotogen war. Blond, gutaussehend, sportlich, sympathisch lächelnd – ein Kerl, wie jeder Schwede gerne einer wäre und den jede Frau gern hätte.
Natürlich war die Schlagzeile frisiert, denn eigentlich wusste niemand genau, wo Thomas sich befand, aber die Typographen versuchten immer, die Schlagworte ungefähr auf die gleiche Länge zu bringen, und da passte Kenia nicht, die untere Zeile wäre zu kurz geworden. Aber das waren nur Details, nichts, wofür der Presseombudsmann sie an den Pranger stellen konnte. Und wenn man grammatisch spitzfindig war, hätte es »Schwede als Geisel genommen« heißen müssen, aber solche sprachlichen Kleinigkeiten wurden inzwischen allgemein verziehen.
Die Texte weiter hinten in der Zeitung stammten größtenteils von seinem Veteran Sjölander, der sowohl Chef der Kriminalredaktion, Chef vom Dienst, USA -Korrespondent und Web-Redakteur gewesen war. Er war einer der wenigen, die ohne Schwierigkeiten mit der Zeit gegangen waren, und drehte mit gleichem Enthusiasmus kleine Fernsehbeiträge mit der Handykamera, wie er Superscoops schrieb.
Das Beiwerk zum Hauptartikel (Infokästen, Hintergründe, Zusammenfassungen und alles, was man irgendwie als Neuigkeit verkleiden konnte) hatten die Leute von der Abendschicht am Desk geschrieben. Allen voran Elin Michnik, ein begabtes Mädchen und offenbar mit Adam Michnik verwandt, dem Chefredakteur von Polens größter Zeitung Gazeta Wyborcza .
Glaubte man dem Artikel, war Thomas Samuelsson der absolut wichtigste Mitarbeiter der gesamten
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