Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
Wohnung gelegen hatte, ohne dass ihn jemand vermisste. Er wurde erst gefunden, als in dem Mietshaus, in dem er wohnte, Breitbandkabel verlegt werden sollten. Die Wohnungstür war nicht abgeschlossen, der Techniker stieg über einen Berg Post und fand den Mann auf dem Fußboden im Badezimmer. Die Lebensmittel im Kühlschrank, die Poststempel auf den Briefen im Flur und die weit fortgeschrittene Verwesung ließen darauf schließen, dass der Mann seit mindestens drei Jahren tot war. Seine Rente war aufs Girokonto überwiesen worden, und die Rechnungen wurden abgebucht. Niemand hatte ihn vermisst, nicht die Nachbarn, nicht der Sohn, nicht die alten Arbeitskollegen. Die Polizei schloss ein Verbrechen aus.
Drei Jahre mit offener Tür, dachte Schyman. Er war nicht einmal einen Einbruch wert.
Es klopfte an der Glastür. Schyman hob den Blick.
Draußen standen Berit Hamrin und Patrik Nilsson und sahen alles andere als heiter aus. Das verhieß nichts Gutes. Er winkte sie herein, und die beiden bauten sich vor seinem Schreibtisch auf, die Hände voll mit Computerausdrucken und Notizen.
»Wir brauchen Ihren Rat in einer Sache«, sagte Berit.
»Im Moment muss offenbar alles schwierig gemacht werden«, maulte Patrik.
Schyman deutete auf die Besucherstühle.
»Es geht um die angebliche Luxusrenovierung der Luxuswohnung des Finanzministers, die er von Schwarzarbeitern hat durchführen lassen«, sagte Berit. »Das ist ein dickes Ding, wenn es stimmt, aber es gibt da einige offene Fragen.«
Patrik verschränkte die Arme. Schyman bedeutete ihr, fortzufahren.
»Erstens«, sagte Berit, »hat überhaupt nicht der Minister die Luxusrenovierung in Auftrag gegeben, sondern eine Consultingfirma, an der er beteiligt ist.«
»Das spielt ja wohl keine Rolle«, sagte Patrik.
Berit ignorierte ihn.
»Zweitens war es keine Luxuswohnung, sondern ein Büro für die fünf Angestellten der Consultingfirma.«
»Na und?«, sagte Patrik.
»Drittens war es keine Luxusrenovierung, sondern eine Kernsanierung des ganzen Hauses. Die Abflussrohre in sechsunddreißig Büros wurden erneuert, alle auf einmal.«
»Das sind doch nur Details«, sagte Patrik.
»Viertens hatte die Consultingfirma einen Vertrag mit einem Bauunternehmer, und die Bezahlung erfolgte ordnungsgemäß nach Rechnungstellung. Der Bauunternehmer seinerseits ließ kleinere Abrissarbeiten von einem Subunternehmer ausführen, und auch hier lief die Bezahlung über die Bücher. Der Subunternehmer ist ein von der Gewerkschaft, dem Bauunternehmerverband und dem Finanzamt kontrolliertes und anerkanntes Unternehmen.«
»Alles eine Frage der Formulierung«, sagte Patrik.
Berit legte ihren Notizblock auf den Schoß.
»Nein, Patrik«, sagte sie. »Das hier ist blanker Unsinn.«
»Aber mediatime.se hat doch einen Typen interviewt, der sagt, er hätte seinen Lohn schwarz erhalten, als er in der Luxuswohnung des Ministers gearbeitet hat!«
Schyman schlug sich an die Stirn.
»Mediatime.se! Lieber Himmel, Patrik, wir haben doch über diese Klatschseiten gesprochen …«
» Falls die Quelle von mediatime.se die Wahrheit sagt, wäre das eine Geschichte«, sagte Berit. »Wie kommt es, dass Leute gezwungen werden, schwarzzuarbeiten, obwohl alle beteiligten Unternehmen Rechnungen ausstellen? Wer verdient an den Missständen? Und wer sind die Schwarzarbeiter? Sind es Schweden, und wenn ja, kassieren sie gleichzeitig Arbeitslosenunterstützung? Oder sind es illegale Einwanderer, die in Kellerwohnungen hausen und für Sklavenlöhne schuften?«
Patrik nagte frenetisch an der Spitze seines Kugelschreibers.
»Wie kann er eine Consultingfirma besitzen und gleichzeitig Minister sein?«, fragte er schließlich. »Wie passt das zusammen? Da müssen sich doch jede Menge Interessenkonflikte ergeben. Wir könnten überprüfen, ob er seiner eigenen Firma Regierungsaufträge zugeschanzt hat. Ich wittere einen Skandal, wir müssen nur tief genug graben …«
Berits Blick war vollkommen ausdruckslos.
»Die Renovierung wurde vor sieben Jahren durchgeführt, also drei Jahre bevor Jansson Minister wurde. Als er sein Amt antrat, hat er seinen Anteil an der Firma verkauft.«
»Aber vielleicht begünstigt er sie trotzdem? Schiebt seinen alten Kumpels Aufträge zu …?«
Schyman hob die Hand und lehnte sich über den Schreibtisch.
»Patrik«, sagte er. »Wir sollten die Sache fallen lassen. Es gibt keine Story über Janssons Luxusrenovierung. Eine Artikelserie über das Gemauschel in der Baubranche
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