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Anonym - Briefe der Lust

Anonym - Briefe der Lust

Titel: Anonym - Briefe der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Hart
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Limonade?“
    „Ich darf keine trinken.“
    Ich hatte schon zwei Dosen aus dem Kühlschrank genommen und schob ihm eine hin. „Ja, ja, spar dir das unschuldige Getue für deine Mutter auf.“
    Wir öffneten beide unsere Dosen. Von oben hörten wir das Geräusch von laufendem Wasser und ein paar schwere Schritte, dann folgte Gesang. Ich lachte. Jeremy rollte mit den Augen.
    „So“, sagte ich, nachdem ich einen großen Schluck genommen hatte. „Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?“
    „Keine.“
    Ich hörte den düsteren Ton in seiner Stimme. „Dad sagt, dass du ihm und Stella in letzter Zeit das Leben ziemlich schwer machst. Und dass du sogar in der Schule Ärger hast. Was ist los, Alter?“
    „Hat Dad dir gesagt, du sollst mich ausfragen?“ Jeremy schnaubte und rührte seine Dose immer noch nicht an. Er sah finster drein und beugte sich über den Küchentresen. „Warum kann er mich nicht einfach in Ruhe lassen?“
    „Weil er dein Dad ist.“
    Jeremy hatte dieselbe Augenfarbe wie mein Dad. Und wie ich. Blau mit einem grauen Rand. Nun waren seine Augen dunkel vor Wut. „Er ist aber auch dein Dad!“
    Von allem, was er hätte sagen können, hatte ich das am wenigsten erwartet. „Ja. Und weiter?“
    Er zuckte wild mit den Achseln und beugte sich wieder vor. Ich lehnte ihm gegenüber am Tresen und wartete. Jeremy war früher so ähnlich wie Tyler gewesen. Er hatte wie ein Wasserfall geredet. Ich konnte in Ruhe abwarten.
    „Hasst du ihn nicht manchmal?“
    Er stellte seine Frage so leise, dass ich sie fast nicht verstanden hätte, aber ich beugte mich nicht vor, um ihn besser hören zu können. Stattdessen lehnte ich mich zurück, erstaunt, mit welchem Nachdruck er gesprochen hatte. „Ob ich Dad hasse?“
    Jeremy sah mich mit Augen an, in denen Tränen standen. „Ja. Tust du das nicht?“
    Ich hatte nicht die leiseste Idee, worum es hier eigentlich ging, aber ich bemühte mich, sanft zu sprechen. „Warum, Jeremy? Hasst du ihn denn?“
    Er senkte wieder seinen Kopf. Es ist hart, zwölf Jahre alt zu sein. Man ist kein Kind mehr, aber auch noch kein Teenager. Mit zwölf hatte ich dafür gesorgt, dass meine Mom ihre ersten grauen Haare bekam.
    „Er sagt uns dauernd, die Familie ist so wichtig .“ Er spuckte das letzte Wort verächtlich aus, und in seiner Stimme hörte ich den Rotz, der ihm in der Nase saß.
    Ich zog ein paar Papiertücher aus der Schachtel auf dem Tresen und reichte sie ihm. Jeremy griff danach und presste sie gegen sein Gesicht, das zwischen seinen Armen auf dem Tresen ruhte. Ich trank ein bisschen Limonade, während ich darüber nachdachte, was ich sagen sollte.
    „Die Familie ist wichtig“, war alles, was mir einfiel.
    Jeremy schaute mich wieder an, obwohl er sich wahrscheinlich für seine Tränen schämte. „Vor meiner Mom war er mit einer anderen Frau verheiratet.“
    „Ja. Ich weiß. Mit der Mom von Gretchen und Steven. Aber das war vor deiner Geburt.“
    „Aber nicht“, erklärte Jeremy mit einer Stimme, die schwer vor Verachtung war, „vor deiner Geburt.“
    Er hatte es erst vor Kurzem begriffen. Nun, ich war jünger als zwölf gewesen, als ich es erfahren hatte, und das hatte es nicht einfacher für mich gemacht, damit umzugehen, dass mein Vater zum Zeitpunkt meiner Geburt mit einer anderen Frau verheiratet gewesen war. Ich war drei, als mein Dad erste Anstrengungen unternahm, mich kennenzulernen. Damals war seine erste Ehe schon vorüber. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits mit Stella zusammen. Bewusst hatte ich ihn nie zusammen mit einer anderen Frau erlebt.
    „Meine Mom …“ Jeremy erschauderte und wischte seine Tränen der Wut ab. „Sie ist der Grund, weshalb er sich von Gretchens und Steves Mom hat scheiden lassen. Stimmt doch, oder?“
    „Das weiß ich nicht, Jeremy. Ich habe nie gefragt. Es geht mich nichts an. Und dich auch nicht.“ Ich wollte ihn nicht streng tadeln. Denn ich verstand ihn. Aber ich wusste auch, es würde sich nichts für ihn ändern, wenn er wegen irgendetwas zornig war.
    „Wenn die Familie angeblich so wichtig ist, warum hat er das dann getan?“
    Ratlos stieß ich einen Seufzer aus. „Ich weiß es nicht.“
    Jeremy rieb sein Gesicht. Die Tränen waren fort. Seine strahlenden Augen hatten die gleiche Form wie Stellas, obwohl er die Augenfarbe meines Dads hatte, und er ähnelte seiner Mutter, wenn er die Stirn krauszog. „Er hat seine erste Frau betrogen und bekam von einer anderen Frau ein Baby, und dann hat er es noch einmal

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