Anonym - Briefe der Lust
billig.“
„Ich habe sie eingeladen.“
„Nimm das Geld, Paige“, forderte mein Dad mich freundlich auf. „Ich bin sicher, du kannst es gebrauchen.“
Ich straffte meine Schultern und faltete den Schein in der Mitte, bevor ich ihn in meine Tasche steckte. „Du musst mich nicht dafür bezahlen, wenn ich auf die Jungs aufpasse. Ich komme zurecht.“
Mein Dad lachte. „Natürlich. Ich bezahle dich auch nicht für irgendetwas. Ich bin einfach nur dein Dad, okay?“
„Nun, dann. Danke.“ Rührung schnürte mir die Kehle zu, aber ich schluckte sie herunter.
Über die Jahre hatte mein Dad mir gelegentlich Geld zugesteckt. Nie genug. Nie, wenn ich es brauchte. Es wäre viel besser gewesen, wenn er meiner Mom gegenüber seine Pflicht erfüllt und ihr Unterhalt gezahlt hätte, sodass ich in der Mittelstufe die Markenjeans und den warmen Wintermantel hätte haben können. Das hätte ich besser gefunden als den gelegentlichen Zwanziger oder Fünfziger oder die plötzliche Geschenkeflut drei Wochen nach meinem Geburtstag und dann noch grundsätzlich in der falschen Größe.
„Hast du Lust, nächste Woche mit mir Mittagessen zu gehen?“ Er unterdrückte erneut ein Gähnen, und ich bewegte mich in Richtung Haustür.
„Sicher. Ruf mich an, Dad.“
„Das mache ich“, versprach er mir an der Tür, umarmte mich und küsste mich auf die Wange. „Fahr vorsichtig.“
Das klang so väterlich, dass es mir fremd vorkam. Auf dem Heimweg vibrierte mein Handy an meinem Schenkel, aber ich zog es nicht aus der Tasche, bevor ich in der Parkgarage war. Ich hatte zwei neue Nachrichten.
Liege im Bett. Bin nicht müde. Wie soll ich Dich nennen?
Die zweite lautete:
Schlafe immer noch nicht.
Ich erinnerte mich noch gut, wie ich jeder Karte entgegengefiebert hatte. Ich hatte mir den Absender vorgestellt, meinen geheimen Gebieter, der jedes Wort mit dem Ziel wählte, mich einen Schritt weiter auf einem Weg voranzubringen, der so gewunden war, dass ich das Ende nicht sehen konnte. Ich hatte nie darüber nachgedacht, wie schwierig es war, jedes Mal ganz genaue Anweisungen zu geben, oder wie es sich wohl anfühlte, zu wissen, dass jemand genau das tat, was man ihm befahl.
Es gab Grenzen. Es musste welche geben. Ich bin sicher, ich wäre irgendwann an meine gestoßen, wenn ich weiterhin Befehle erhalten hätte, die mich immer stärker unter Druck gesetzt hätten. Oder wenn ich eines Tages aufgefordert worden wäre, etwas zu tun, was mir so fremd war, dass ich es nicht bewältigen konnte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich ein Verbrechen begangen oder etwas getan hätte, das gegen meine persönlichen Regeln verstieß, wie zum Beispiel ungeschützter Sex mit einem Fremden oder Drogenkonsum.
Ich kannte Erics Grenzen nicht und wusste auch nicht, wie weit ich ihn treiben wollte, doch bei dem Gedanken wurde mir heiß. Ich dachte noch ein paar Augenblicke nach, dann stieg ich aus meinem Wagen. Es war noch nicht schrecklich spät, nicht für einen Samstagabend, aber im Parkhaus war es still. Auf der anderen Straßenseite sah ich in einigen Apartments Licht brennen, aber viele Fenster waren dunkel. Die meisten Bewohner des Gebäudes waren sicher ausgegangen und würden erst viel später zurückkommen.
Als ich den Haupteingang erreichte, hatte ich bereits eine Nachricht eingetippt. Grinsend schob ich mein Handy, das ich auf stumm geschaltet hatte, zurück in die Tasche. Es war ein Risiko, weil es möglicherweise nicht so funktionierte, wie ich es mir vorstellte, aber das war mir die Sache wert.
Wenn Du ohnehin nicht schläfst, solltest Du Deine Zeit sinnvoll nutzen. Geh hinunter in die Lobby. Grüße den ersten Menschen, der Dir über den Weg läuft. Falls es ein Mann ist, wirst Du ihn in eine beliebige Unterhaltung verwickeln. Ist es aber eine Frau, wirst Du einen Weg finden, ihr zu dienen. Nicht um ihr Vergnügen zu bereiten und auch nicht zu Deinem eigenen Vergnügen, sondern um mir Spaß zu verschaffen.
Das war ein ziemlich umfangreicher Text, doch dass es lange dauerte, ihn einzutippen, bedeutete, Eric musste sich noch länger in Geduld üben. Ich war schon in der Lobby, die immer noch leer war. Alles, was ich nun tun musste, war warten.
In dem Spiegel über dem Kamin, den niemals jemand anzündete, erhaschte ich einen Blick auf mich. Blondes Haar, das zu einem hoch angesetzten Pferdeschwanz zusammengefasst war, blaue Augen mit verwischtem grauem Eyeliner. Die Sonne hatte ein paar Sommersprossen sprießen lassen, und meine
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