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Anonym - Briefe der Lust

Anonym - Briefe der Lust

Titel: Anonym - Briefe der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Hart
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glücklich waren. Wenigstens zu Beginn. Austin arbeitete in der Baufirma seines Dads, und ich hatte weiterhin meinen Job im Laden meiner Mom. Mein Großvater war gestorben, und das Geschäft gehörte jetzt ihr allein. Und nun, da sie Arty hatte, konnte sie nicht so viel Zeit dort verbringen, also schmiss ich den Laden.
    Wir waren glücklich.
    Und dann waren wir es nicht mehr.

7. KAPITEL
    Als ich klein war, versetzte mich die Aussicht auf ein Sonntagsdinner bei meinem Dad regelmäßig so in Aufregung, dass ich mich übergeben musste. Allerdings nie im Haus meines Vaters – selbst als ich noch klein war, wusste ich, dass Stella sich nicht für ein spuckendes Kind würde begeistern können. Inzwischen passierte mir das nicht mehr, aber es war mir nie gelungen, den Knoten in meinem Magen loszuwerden.
    Ich saß in meinem Wagen – der nicht teuer genug war, um eindrucksvoll zu wirken – auf der halbkreisförmigen betonierten Auffahrt und warf eine Tablette gegen überschüssige Magensäure ein. Dies war das vierte neu erbaute Haus, das er mit seiner zweiten Familie bewohnte. Mit seiner ersten Familie hatte er in einer Art Herrenhaus im georgianischen Stil gelebt. Nur mit meiner Mutter hatte er nie zusammengelebt.
    Soziologische Studien zur Geschwisterfolge haben ergeben, dass ein Altersunterschied von sechs und mehr Jahren es komplizierter machen, die Rollen einzunehmen, die normalerweise das älteste, mittlere und jüngste Kind in der Familie innehat, weil jedes der Kinder auch gleichzeitig ein Einzelkind ist. Aus diesem Grund bin ich ein Einzelkind, obwohl ich fünf Halbgeschwister und einen Onkel habe, der eher so etwas wie ein Bruder für mich ist. Ich habe versucht, mich mit der Rolle des mittleren Kindes zu identifizieren – aber schließlich und endlich bin ich das nicht.
    Die Tür öffnete sich, und Jeremy und Tyler stürzten heraus. Auch sie sehen meinem Dad ähnlich. Obwohl wir nicht als Geschwister zusammen aufgewachsen sind, kann man die enge Verwandtschaft doch nicht leugnen. Ich war vierzehn, als Jeremy geboren wurde, sechzehn, als Tyler zur Welt kam. Sie sind für mich eher so etwas wie Neffen oder Cousins als Brüder. Ich bin nicht sicher, was sie über mich denken. Sie freuen sich aber immer, mich zu sehen, und abgesehen von der Tatsache, dass sie verwöhnte Gören sind, die ab und zu eine Tracht Prügel vertragen könnten, freue auch ich mich meistens, wenn ich sie treffe.
    „Hi, Paige.“ Jeremy war inzwischen zwölf und kam nicht mehr angerannt, um meine Beine zu umklammern. Er entschied sich für ein halbherziges Winken mit gekrümmten Fingern.
    Tyler war mit seinen zehn Jahren fast so groß wie ich, aber er fiel mir um den Hals und drückte mich. „Komm, Paige, wir spielen Pictionary. Grandma und Grandpa sind schon da. Und Nanny und Poppa.“
    „Alle sind da.“ Jeremy klang irgendwie sauer, und ich warf ihm einen raschen Blick zu. Er war immer ein ziemlich fröhliches Kind gewesen. Doch heute starrte er finster vor sich hin und zog die blonden Augenbrauen über der kleineren Version der Nase unseres Vaters zusammen.
    Ich nahm das Geschenk aus meinem Wagen und schloss ihn aus Gewohnheit ab, obwohl es sehr unwahrscheinlich war, dass etwas passierte, wenn ich ihn hier in der Auffahrt meines Vaters parkte. „Kommt. Lasst uns reingehen.“
    Dann legte ich Tyler den Arm um die Schultern und hörte ihm zu, während er von der Schule, vom letzten Fußballspiel und von der neuen Spielekonsole erzählte, die er zu Weihnachten bekommen hatte. Er war noch nie vom Weihnachtsmann enttäuscht worden. Mittlerweile erlaubte ich es mir, ihn darum zu beneiden, obwohl ich schon lange nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte.
    Drinnen warf Jeremy sich auf einen Stuhl in der Ecke, saß mit verschränkten Armen da und schmollte weiter. Tyler ließ mich stehen, um Stifte für das Spiel zusammenzusuchen. Und so blieb mir keine andere Wahl, als mich der quälenden Pflicht zu widmen, mit Stellas Eltern, Nanny und Poppa, nette Konversation zu betreiben.
    Ebenso wie ihre Tochter waren sie keine schlechten Menschen. Sie hatten sich mir gegenüber nie grausam verhalten. Ich war nicht Aschenputtel. Und inzwischen verstand ich auch, wie es gewesen sein musste, in ihren Herzen einen Platz für die Kinder ihres frischgebackenen Schwiegersohns zu finden, und wie unbehaglich sie sich wahrscheinlich dabei gefühlt hatten.
    Ein hastig eingewickeltes Riesen-Bilderbuch und ein Paar Fausthandschuhe in einer Schachtel mussten

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