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Anonym - Briefe der Lust

Anonym - Briefe der Lust

Titel: Anonym - Briefe der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Hart
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zwangsläufig armselig wirken, wenn man sie mit aufwendig verpackten Paketen voller Spielzeug und neuer Kleidung verglich. Ich verstand, wie das passiert war. Nur äußerst selten hatte ich Weihnachten bei meinem Dad verbracht, und auch das war immer erst in letzter Minute entschieden worden. Immerhin hatten Nanny und Poppa sich Mühe gegeben.
    Seit ich erwachsen war, schien es einfacher für sie zu sein, aber für mich war es schwieriger. Als Kind war es mir nie so vorgekommen, als würden sie mich nicht mögen. Jetzt war ich mir sicher, dass sie mich nicht leiden konnten.
    „Hallo, Paige“, begrüßte mich George, auch bekannt als Poppa. „Schön, dass du gekommen bist.“
    Er meinte es gut, aber der leicht überraschte Unterton brachte mich dazu, mir auf die Zunge zu beißen, damit ich nicht laut rief: „Natürlich bin ich da! Sie ist die Frau meines Vaters!“
    Aber genau wie bei Stella würde es mir nie gelingen, sie zu beeindrucken. Ich wollte nur einfach ihre Erwartungen nicht bestätigen. Anstatt herumzuschreien, lächelte ich.
    „Wie geht es dir?“ Ich brachte es nicht über mich, ihn George zu nennen, Mr Smith klang absurd, und ich würde nie Poppa zu ihm sagen.
    Meine Frage war bloßer Höflichkeit geschuldet, aber er beschrieb mir in allen Einzelheiten, wie es ihm ging. Fünfzehn Minuten lang. Und ich hörte zu, nickte und murmelte an den richtigen Stellen etwas vor mich hin, als würde es mich interessieren. Ich kannte nicht die Hälfte der Leute, die er erwähnte, aber er glaubte offensichtlich, dass ich sie kennen sollte. Er fragte mich nie, wie es mir ging, was gut war, weil ich ihm sonst hätte antworten müssen.
    Schließlich kam das Pictionary-Spiel in Gang. Gretchens Mann Peter drückte sich, indem er freiwillig anbot, sich um Hunter zu kümmern, ihren gemeinsamen dreijährigen Sohn. Steve und seine extrem schwangere Frau Kelly spielten mit, ebenso wie mein Dad und Stella, sämtliche Großeltern und Tyler. Und ich. Jeremy war verschwunden. Wir teilten uns in Mannschaften auf, Jungs gegen Mädchen.
    „Ich setze aus“, erklärte ich, als wir feststellten, dass die Mädchen eine Mitspielerin mehr hatten.
    „Oh nein, Paige, bist du sicher?“, protestierte Stella, allerdings nicht allzu energisch. Sie mag es, wenn die Dinge geordnet sind.
    „Natürlich. Das ist kein Problem. Ich sehe nach dem Essen, wenn du möchtest.“
    Okay, vielleicht drängte ich mich selbst in die Rolle des Aschenputtels. Ein kleines bisschen. Aber es war eine Erleichterung, in die Küche zu gehen und Platten mit Gemüse und Dip, Käse und Kräckern vorzubereiten. Das Brot war von ausgesuchter Qualität, die Käseauswahl reichlich. Selbst kleine, verzierte Messerchen für den Streichkäse gab es. Stella liebte es, Partys zu geben.
    Im Kühlschrank in der Garage entdeckte ich die Platten mit dem kalten Aufschnitt und brachte sie in die Küche, um sie auf den Tisch zu stellen, der als Büfett diente. Beim Hereinkommen erschreckte ich Jeremy, der vor dem offenen Kühlschrank stand. Er fuhr herum, mit einer Dose Limonade in der Hand.
    Aus dem Wohnzimmer war Gelächter zu hören. Ich stellte die Platte mit kaltem Braten auf den Tisch. Jeremy und ich starrten uns gegenseitig nieder.
    „Das solltest du vor dem Essen nicht trinken“, erklärte ich ihm.
    „Ich weiß.“ Er schob sein Kinn vor. Bis jetzt hatte er die Dose noch nicht geöffnet.
    „Ich habe nicht vor, dich zu verpetzen, Kiddo“, erklärte ich, wandte mich dem Tisch zu und hob den Plastikdeckel von der Platte, um das künstliche Grünzeug von den Rändern zu nehmen. Ich wusste, wie man Dinge hübscher machte.
    „Nenn mich nicht so“, sagte er.
    Eigentlich hatte ich erwartet, dass er sich mit seiner Beute davonschlich, aber das tat er nicht. Als ich mich wieder umdrehte, spielte er immer noch mit der Dose herum und warf sie von einer Hand in die andere.
    „Gibt’s noch irgendwas?“ Ich ging an ihm vorbei in die große, fast leere Speisekammer, um die hübschen Plastikteller und Plastikbestecke und die dazu passenden Servietten herauszuholen.
    „Nein.“ Jeremy zuckte mit den Schultern und verschwand die Hintertreppe hinauf.
    Dann fing die Party richtig an.
    Es war leichter für mich, wenn mehr Leute da waren. Stellas Freunde wussten natürlich, wer ich war, und vermieden es, mit mir zu reden. Offenbar wollten sie auf keinen Fall in die Verlegenheit geraten, entscheiden zu müssen, wie sie die uneheliche Tochter des Ehemanns ihrer Freundin ansprechen

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