Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte
Boden eine Flasche Budweiser und die Propangaslaterne, und ist in ein Centerfold vertieft.
Während wir Wild essen und Bier trinken, möchte Ray wissen, wie es zu unserem gegenwärtigen Zustand gekommen ist. Da ich meine Tafel nicht dabeihabe und Jerry beschäftigt ist, übernimmt Rita das Reden - sie erzählt, wie jeder von uns gestorben ist und dass wir uns zweimal pro Woche in einer Selbsthilfegruppe treffen. Im Gegenzug erklärt Ray, dass es ihn vor knapp einem Jahr auf der Jagd erwischt hat. Er hatte sich unbefugt Zutritt zu einem Privatgrundstück verschafft, und der Besitzer hat behauptet, er habe in Notwehr das Feuer erwidert.
»Notwehr, dass ich nicht lache«, sagt Ray. »Mein Gewehr lehnte neben mir am Baum.«
»Was hast du getan, als er auf dich geschossen hat?«, fragt Rita.
»Gepinkelt«, sagt Ray. »Der Scheißkerl hat mir bei runtergelassenen Hosen eine Kugel verpasst.«
Ich nehme mir ein weiteres Stück Wild und grunze.
Als wir aufgegessen haben, sind Zack und Luke eingenickt; sie habe sich wie zwei Katzen zusammengerollt und aneinandergeschmiegt, die leeren Einmachgläser und die beiden Budweiser-Flaschen neben sich auf dem Boden. Jerry ist immer noch in seine Softpornowelt versunken.
»Erzählt mir von eurer Gruppe«, sagt Ray, legt erneut ein Holzscheit aufs Feuer und öffnet ein weiteres Bier.
Rita gibt ihm einen kurzen Überblick über die Gruppe, über ihre Mitglieder und ihre Zielsetzung, die unter anderem darin besteht, neue Teilnehmer zu gewinnen, indem wir weitere Überlebende bei uns aufnehmen.
»Überlebende?«, fragt Ray. »Klingt für mich nach’nem harmlosen Ausdruck für ›angeschissen‹.«
»Helen ist auf’ner Art New-Age-Trip«, sagt Rita. »Sie möchte uns dabei helfen, dass es uns besser geht.«
Ich nicke und sage »genau«, doch es klingt, als würde ich gleichzeitig niesen und würgen.
»Tja, man kann das nur bewundern, wenn jemand versucht, anderen Menschen zu helfen«, sagt Ray. »Aber letztlich kann man nur sich selbst helfen. Stimmt’s, Mr. Hefner?«
Jerry schaut mit glasigen Augen und leicht geöffnetem Mund von seinem Playboy auf. Ich glaube tatsächlich, er sabbert.
»Ich persönlich schäme mich nicht für das, was ich bin«, sagt Ray. »Und das solltet ihr auch nicht. Es kommt darauf an, das Beste aus den eigenen Möglichkeiten zu machen.
Und wenn du nicht alles hast, was du brauchst, musst du’s dir eben nehmen. Oder einen Weg finden, es dir anzueignen.«
Im Grunde sagt Ray dasselbe, was Helen uns die letzten drei Monate erzählt hat, doch aus seinem Mund klingen die Worte sehr viel schlüssiger.
»Würdest du mal zu einem Treffen mitkommen?«, fragt Rita. »Ich bin mir sicher, dass die anderen dich gerne kennenlernen würden.«
»Also, ich weiß nicht, was die beiden davon halten«, sagt Ray und deutet auf die schlafenden Zwillinge neben dem Feuer, »aber ich hab für Selbsthilfegruppen nicht viel übrig. Allerdings schätze ich, es tut auch nicht weh, mal vorbeizuschauen.«
Rita erzählt Ray etwas ausführlicher von den Treffen und bittet ihn, die Zwillinge mitzubringen. Er meint, er wird sein Bestes tun, dann bietet er jedem von uns ein weiteres Bier an.
»Wir sollten jetzt besser gehen«, sagt Rita, während sie einen Blick auf die Uhr wirft. »Es ist schon spät.«
Ab Mitternacht gilt für Zombies die Ausgangssperre, um zu verhindern, dass sich die Untoten ungestört in großen Gruppen zusammenrotten. Und abgesehen von den »Anonyme Untote«-Treffen und Friedhöfen dürfen sich Zombies an keinem anderen öffentlichen Ort versammeln. Man verwehrt uns den Zugang zum Internet, denn die Atmer wollen nicht, dass wir durchs Netz surfen. Vielleicht haben sie Angst, dass wir Zombie-Pornos produzieren. Oder mit ahnungslosen Atmern eine Online-Romanze eingehen. Oder eine politische Community einrichten, die sich für einen gesellschaftlichen Wandel stark macht. Obwohl das durchaus möglich wäre, würden wir uns wohl eher für
das Recht einsetzen, Hygieneartikel für Zombies zu entwickeln.
Rita und ich bedanken uns bei Ray für seine Gastfreundschaft, die ihre Fortsetzung findet, als er jedem von uns ein weiteres Einmachglas mit Wild in die Hand drückt. Mit einem Packen Playboy -Ausgaben unter dem Arm erhebt Jerry sich von seinem Platz und sagt: »Alter, kann ich mir stattdessen ein paar von den Heften leihen?«
Als wir aufbrechen, drehe ich mich nochmal zum Getreidespeicher um und beobachte, wie er in der Dunkelheit verschwindet, und ich habe
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