Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte
für das, was mir zugestoßen ist, nicht die Schuld geben. Andererseits habe ich auch nicht vor, ihm dafür zu danken, denn ich persönlich halte meinen Zustand nicht gerade für ein göttliches Wunder.
»Ich mach mir schon Gedanken über ihn«, sagt Rita. »Ich stelle mir vor, wie er in seinem Fernsehsessel hockt, Ambrosia oder Met trinkt, oder einen Pint Guinness, und uns auf seinem Breitwandfernseher beobachtet, gespannt, was als Nächstes passiert. Wie in einer Versuchsanordnung.«
Wie zur Antwort grollt ein Donner über den dunklen Himmel. Ich werfe einen flüchtigen Blick in Ritas Richtung. Ihr Haar ist klitschnass, und ihre Bunny-Ohren hängen schlaff herab, doch das scheint sie nicht zu stören.
»Manchmal frage ich mich, ob dieser ganze Planet nicht ein einziges riesiges Experiment ist, ein einziges riesiges Labyrinth, und wir sind die Mäuse, die den Käse suchen.«
Sie dreht sich zur Seite, um mich anzusehen, und ich bin völlig gebannt. Sie durchbohrt mich mit ihren dunklen Augen, während der Regen von ihrem bleichen Gesicht tröpfelt. Im diffusen Schein der Straßenlaterne, die einen halben Block entfernt steht, wirkt sie, als wäre sie nicht ganz von dieser Welt. Wie ein Zombie-Playboy-Engel.
»Oder glaubst du, dass ich nur Schwachsinn rede?«, sagt sie.
Ich schüttle den Kopf, etwas zu eifrig, und Rita muss lachen, während sie mir weiter in die Augen schaut; der Regen stört jetzt kaum noch. Als sie mich anlächelt, habe ich das erste Mal seit Monaten das Gefühl, als würde mir warm ums Herz.
Vor uns setzt Jerry über einen Busch und knallt gegen einen Telefonmast.
Rita hakt sich mit dem rechten Arm bei mir unter. »Los«, sagt sie. »Schnappen wir uns den Geheimagenten.«
Jerry liegt neben dem Telefonmast auf dem Rücken und fängt mit dem Mund den Regen auf. Seitlich von ihm ist seine rote Mütze mit den Teufelshörnern gelandet, so dass jetzt sein Gehirn nass wird. Direkt hinter ihm steht ein gelbes Hinweisschild mit einem schwarzen Pfeil, das vor eine Doppelkurve warnt.
»Gut, dass ich schon tot bin«, sagt Jerry mit einem Lächeln. »Das hätte sonst höllisch wehgetan.«
»Du bist nicht tot«, sagt Rita und streckt ihre rechte Hand aus, um Jerry wieder auf die Beine zu helfen. »Du bist untot.«
»Wie du willst«, sagt Jerry. »Du lebst in deiner Welt, und ich in meiner.«
Ich sehe dabei zu, wie die beiden ihre Sticheleien austauschen. Und würde gerne etwas Schlaues sagen. Oder etwas Geistreiches. Oder Tiefgründiges. Ich möchte einfach irgendetwas sagen, um an dem Gespräch teilzunehmen, statt schweigend danebenzustehen. Ich kann nicht mal meine Schreibtafel rausholen, denn ich habe sie zu Hause gelassen. Also bleibt mir nichts weiter übrig, als dort zu stehen, zuzuschauen und zu lächeln, bis ich am liebsten schreien würde.
Also schreie ich.
Jerry und Rita mustern mich, beide stumm vor Entsetzen. Für ein paar Sekunden starren wir einander an, und ich komme mir wie ein ungezogenes Kind vor, das darauf wartet, dass es von den Eltern zurechtgewiesen wird. Dann fängt Jerry an zu lachen, und Rita stimmt mit ein. Und ehe ich mich’s versehe, platzt es ebenfalls aus mir heraus. Ich klinge ein wenig wie eine seekranke Robbe; es ist das erste Mal seit drei Monaten, dass ich wieder lache, und so langsam dämmert mir, dass ich gerade Spaß habe.
»Hey!«, ruft plötzlich eine Stimme.
Wir drei fahren herum. Eine Gestalt aus dem Feld hinter der Straße kommt auf uns zu. Hinter ihr tauchen zwei weitere menschliche Silhouetten aus der Dunkelheit auf.
Über uns ertönt ein Donnergrollen, wie in einem billigen Horrorstreifen.
»Hauen wir ab«, sagt Jerry.
»Gute Idee«, sagt Rita, packt mich am Arm und zerrt mich zurück Richtung Stadt.
»Stehen bleiben!«, ruft der Mann.
Es gibt hier in der Gegend keine Häuser. Weder Bars oder Restaurants noch irgendwelche Geschäftsgebäude. Allerdings wären das sowieso nicht gerade Orte, an denen wir Zuflucht suchen könnten.
Wir befinden uns auf halbem Weg zum Friedhof, und außer dem Feld, einem Weinberg und einem steinernen Getreidespeicher gibt es hier draußen absolut nichts. Nur eine einzelne Straßenlaterne, die Dunkelheit und den Regen.
Der Mann rennt jetzt, hat die Straße fast erreicht, seine Freunde folgen ihm dicht auf den Fersen. Er brüllt uns erneut irgendetwas zu, doch seine Worte werden von einem weiteren Donnergrollen übertönt.
Jerry rast voraus und ruft: »Los, los, los«, als wüssten wir nicht, dass wir uns
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