Anruf aus Nizza
Freunde, wenn nicht helfen in Not?«
»Lieb von euch«, sagte Monika. Nur zu gern glaubte sie allmählich selber daran, daß es gute Freunde gab, die einem aus der Patsche halfen. Und warum auch nicht, sie selbst hätte es doch auch getan.
»Also gut«, sagte Giulio. »So wie Lage der Dinge, ist wichtig jeder Tag, jede Stunde. Je eher wir in Sardinien aufkreuzen, desto leichter ist, uns zu glauben. Wir werden heute nacht starten, kurz vor Mond aufgeht, ja?«
Giulio stand auf. »Ich hole Sie ab mit Wagen. Kutter liegt aus bestimmte Gründe nicht in Nizza, sondern in Albenga, wir fahren mit Auto hin. Einverstanden?«
Monika reichte ihm die Hand.
»Einverstanden, Herr Torrini.«
*
Mit siebenunddreißig Schlaftabletten konnte sich der stärkste Mann ins Jenseits befördern. Für Irene aber bestand das Problem darin, sich nicht völlig umzubringen. Sie hockte mit gerunzelter Stirn in ihrem Bett. Wie viele muß ich schlucken? Natürlich muß ich tief schlafen, sonst merken sie ja den Schwindel sofort.
Mit stillem Vergnügen hatte sie gestern abend die Aufregung in ihrem Stockwerk registriert. Das verheulte Gesicht der jungen Schwester hatte ihr deutlich genug gesagt, worum es ging: das Fehlen der Schlaftabletten war bemerkt worden, es hatte Krach gegeben.
Vielleicht fünf Stück?
Irene hatte das Fläschchen großartig versteckt, selbst bei einer Durchsuchung wäre es nicht gefunden worden. Jetzt holte sie es aus der tönernen Wasserschale auf der Zentralheizung heraus.
Sie entschied sich endgültig für vier Tabletten. Unbemerkt schlich sie auf die Toilette, warf die restlichen dreiunddreißig hinein und kehrte befriedigt und ebenso unbemerkt wieder in ihr Zimmer zurück.
In etwa einer Stunde mußte Dr. Berckheim zur Visite kommen. Dann würde sie schlafen, tief und schwer, und auf ihrem Nachttisch würden sie entsetzt das leere Fläschchen finden.
Ja, aber da war noch etwas. Selbstmörder, besonders wenn sie aus Verzweiflung starben, pflegten Abschiedsbriefe zu hinterlassen. Sie versuchten, ihre Tat zu rechtfertigen und außerdem wollten sie die Überlebenden sozusagen bestrafen: da seht ihr nun, was ihr angerichtet habt!
Irene dankte der Vorsorglichkeit dieser Privatklinik. Auf ihrem Tisch lag eine Schreibmappe mit Briefpapier und Umschlägen.
Es war verteufelt schwer, so zu schreiben, wie sie sich die Schrift einer Selbstmörderin kurz vor einem Nervenzusammenbruch vorstellte. Schließlich mußte auch jedes Wort, der ganze Inhalt genauestens bedacht werden, denn Dr. Berckheim war sicherlich kein gutgläubiger Dummkopf. Echt mußte es wirken.
Schließlich war sie mit ihrem Text nach Inhalt und Schriftbild zufrieden. Auf den Umschlag schrieb sie noch:
Herrn Dr. Berckheim
Streng privat
Dann zerriß sie die Bogen mit ihren Schreibversuchen, ging wieder zur Toilette und spülte sie hinunter. Als sie in ihr Zimmer zurückkehrte, lief sie der Oberschwester direkt über den Weg.
Mathilde musterte das Mädchen und nickte.
»Na, wir haben ja richtig rote Bäckchen. Es geht uns also besser. Das freut mich aber.«
Irene schaltete rasch. Sie übertrieb ihre gute Laune. »Ja, es geht mir gut. Ich habe mich zu einem Entschluß durchgerungen, der für alle Beteiligten am besten sein wird.«
»Fein«, sagte Mathilde. »Da wird sich Dr. Berckheim auch freuen.«
In ihrem Zimmer baute sie den Brief und die leere Arzneiflasche deutlich sichtbar auf ihrem Nachttisch auf, nahm die vier Tabletten, legte sich ins Bett, faltete die Hände über der Brust und schloß die Augen.
Ich muß achtgeben, dachte sie, verdammt achtgeben, wenn sie mich wecken. Oder mir den Magen auspumpen, was weiß ich. Sie müssen fest glauben, daß ich die ganze Ladung im Bauch habe. Wenn sie mich wecken, darf ich nicht aufwachen.
Ob Paul entsetzt sein wird? Ganz gut, wie es gekommen ist, Paul hat einfach kein Format, da ist dieser Robert Berckheim... Robert...
Sie spürte ihr Herz klopfen, fühlte, wie ihr schlecht wurde, sie wollte sich aufrichten, Todesangst packte sie, um Hilfe wollte sie rufen... vier Tabletten waren viel zu viel... und die Visite konnte sich verspäten... ich sterbe wirklich...
So versank sie in der Dunkelheit.
*
Wolfgang Rothe haßte es, vom Telefon geweckt zu werden. Leute, die mit ihm zu tun hatten, wußten das. Als ihm einmal der Generaldirektor eines Riesenkonzerns eine Besprechung morgens um acht Uhr vorschlug, hatte Wolfgang ihn nur erstaunt angeschaut und harmlos gesagt: »Um acht Uhr? Nein, da bin ich
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