Anruf aus Nizza
stehen. Ihre Augen stand schwarz in einem aschfahlen, schmalen Gesicht, unnatürlich groß und starr.
Irene genoß diese Sekunde. Sie machte zwei Schritte bis dicht vor Monika.
Und während Robert ziemlich undeutlich eine Art Vorstellung murmelte, sagte Irene, den Blick freundlich und harmlos auf Monika gerichtet:
»Ich freue mich sehr, gnädige Frau, Sie kennenlernen zu dürfen.«
Monika hob mechanisch ihre Hand. Sie spürte die warmen Finger dieses Mädchens in ihrer Hand, und ihre Lippen murmelten: »Mein Mann hat mir schon von Ihnen erzählt...«
Robert schaltete unbewußt die Hochspannung ab. Er nahm Monika am Arm.
»Komm, Moni, du wirst dich vor dem Abendessen noch umziehen und ein bißchen erfrischen wollen.«
Sie ließ sich von ihm führen, als sei sie noch nie durch diesen Flur gegangen, noch nie diese Treppe hinaufgestiegen. Die Kinder wollten ihr folgen, aber Irene hielt sie zurück. Monika hörte sie sanfte Stimme dieses Mädchens.
»Bleibt mal schön da, ihr beiden. Eure Mutti möchte sich umziehen, sie kommt ja gleich wieder herunter.«
In ihrem Zimmer ließ sich Monika auf die Couch fallen, die ihrem Bett gegenüber stand. Robert blieb unter der Tür stehen.
»Bis gleich«, hörte sie ihn sagen. »Trödel nicht zu lange, Moni, ich kann es kaum noch erwarten, mit dir und den Kindern unten am Tisch zu sitzen. Und außerdem hab’ ich einen Bärenhunger.«
Sein Gesicht verschwamm vor ihren Augen. Du mußt jetzt lächeln, dachte sie, lächeln und mit dem Kopf nicken.
»Gleich«, flüsterte sie. »Ich bin gleich soweit.«
Die Tür schloß sich hinter ihm.
Hat sie mich erkannt? dachte Monika. Wie kommt sie hierher, ist das nur ein Zufall, ein schrecklicher Zufall. Ich war viel zu erschrocken, um ihr Gesicht zu sehen. Hat sie mich erkannt?
Sie sprang auf, eilte ins Bad. In dem kleinen Schränkchen waren Beruhigungstabletten. Sie nahm drei Stück, spülte Wasser nach. Die Tür ging auf, und im Spiegel sah sie Robert hereinkommen.
»Ist dir nicht gut? Du bist auf einmal so blaß?«
»Nichts«, murmelte sie. »Es ist nichts. Nur vielleicht die Aufregung.«
Da stand er und schaute sie an.
Und plötzlich überkam sie Haß gegen diesen Mann. Da stand er, unfehlbar und selbstgerecht. Er war nie mit einer anderen Frau ins Bett gegangen, er hatte noch nie gelogen, er machte überhaupt nichts falsch.
Langsam drehte sie sich um, fühlte seinen Arm auf ihren
Schultern, einen Arm, der sie zu Boden drückte. Plötzlich brach sie zusammen.
Er hob sie auf, legte sie aufs Bett.
»Moni, einen Augenblick, es war zuviel für dich. Ich bin gleich wieder da... eine Beruhigungsspritze...«
Sie hielt ihn fest.
»Robert! Schick sie weg! Ich kann dieses Mädchen nicht ertragen, bitte, bitte, schick sie weg, sofort!«
Bestürzt schaute er auf sie herab, setzte sich vorsichtig zu ihr, streichelte sie.
Natürlich, da war nun der Kollaps. Erstaunlich nur, daß er nicht früher gekommen war.
Sein geschultes und festgefahrenes Medizinerhirn suchte unwillkürlich die Erklärung und fand sie: das neu gewonnene Heim, die Kinder, das neu gewonnene Leben, das alles war ihr erst jetzt richtig zum Bewußtsein gekommen. Und Irene auch, natürlich sah sie in ihr die Nachfolgerin, sah ihre Kinder in den Armen einer fremden Frau. Es war zuviel gewesen.
»Ja, Liebling«, sagte er. »Ich schicke sie weg, wenn du es willst. Einen Augenblick, ich bin gleich wieder da.«
Ich bin wahnsinnig, dachte sie. Vor meinem Auto ist sie zusammengebrochen, sie war ohnmächtig, als ich sie in meinen Wagen hob, sie kann mich gar nicht gesehen haben, und sie hat mich vorhin auch nicht erkannt. Du lieber Gott, gib mir doch bitte jetzt noch die Kraft, durchzuhalten. Bis jetzt habe ich es ja gechafft, es war schrecklich, aber ich habe es geschafft, und jetzt darf ich nicht schlapp machen, ich darf nicht, sonst war alles vergebens...
Sie ließ sich mit geschlossenen Augen die Spritze geben, fühlte Dunkelheit, Ruhe und Wärme, und sie hörte auf, sich zu ängstigen.
Unten saßen sie schon am Tisch, als Robert eintrat.
»Es war ein wenig zuviel für Monika«, sagte er. »Ich habe ihr eine Spritze gegeben, sie wird bis morgen früh schlafen, und dann wird alles wieder gut sein.«
Irene gab sich Mühe, niemanden ihren Triumph merken zu lassen. Ein Fetzen aus einem Film jagte durch ihr Hirn, den sie vor Jahren einmal gesehen hatte: halbverhungerte Hochseefischer hatten eine Harpune auf einen Wal abgeschossen, und als sie sahen, daß die Harpune
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