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Anruf aus Nizza

Anruf aus Nizza

Titel: Anruf aus Nizza Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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Foto war sechs Jahre alt, der Mann hatte sich in diesen sechs Jahren kaum verändert.
    Irene befestigte das Bild wieder im Album, verließ Monikas Zimmer und setzte sich unten in der Bibliothek ans Fenster. Sie zündete sich eine Zigarette an. Ihre Gedanken verfolgten eine Spur, wie ein Schweißhund das angeschossene Wild.
    Wie war das alles gewesen? Mal schön der Reihe nach.
    Monika Berckheim befindet sich auf einer Jacht im Mittelmeer. Die Jacht geht unter, niemand ist gerettet. Plötzlich ist doch jemand gerettet: Monika Berckheim. Gleichzeitig fährt eine Frau ein Mädchen beinahe an. Das Mädchen ist ohnmächtig und sitzt dann plötzlich in einem Auto, aber neben einem Mann. Dieser Mann wäre, dem Text auf dem Foto zufolge, beinahe der Mann Monika Berckheims geworden, vermutlich also ein Flirt oder eine Jugendliebe. Und dieser Mann war so auffallend besorgt um Irene gewesen, daß er gleich das Krankenhaus bezahlt, sich aber nie mehr um sie gekümmert hatte. Warum? Weil nicht er, sondern Monika Berckheim in dem Auto gesessen hatte. Folglich war Monika Berckheim nicht auf der Jacht gewesen. Und folglich konnte sie auch nicht gerettet worden sein. Und folglich betrog sie ihren Mann mit diesem... wie hieß er? Richtig: Wolfgang Rothe.
    Irene sprang auf, ihre Wangen glühten vor Aufregung. Diese Entdeckung war ungeheuerlich!
    Sie schlug das Telefonbuch auf. Wenn dieser Wolfgang Rothe nun auch noch... da stand er: Rothe, Wolfgang, Grafiker und Werbeberater, Königinstraße...
    Einen Augenblick war Irene versucht, die Nummer zu wählen, mit ihm zu sprechen, ihm ins Gesicht zu sagen, daß sie hinter seinen und Monikas Schwindel gekommen sei.
    Nein, dachte sie, kein Mensch darf ahnen, was ich weiß. Wie gut, daß ich vorbereitet bin. Ob sie mich erkennen wird, heute abend? Vielleicht erschrickt sie? Und ich werde so tun, als hätte ich keine Ahnung, als würde ich sie nie in meinem Leben gesehen haben, ich werde sie in Sicherheit wiegen, und dann...
    Sie schaute auf zu dem Ölbild über dem Kamin.
    »Eine von uns beiden, Monika, ist zuviel in diesem Haus. O nein, ich werde dich deinem Mann nicht verraten, das wäre viel zu einfach. Ihr könntet euch versöhnen, und ich hätte wieder das Nachsehen. Ich werde dich mürbe machen, ganz langsam, und eines Tages wirst du es nicht mehr ertragen, du wirst dieses Haus verlassen, du wirst es mir überlassen.«
    Zitternd vor Triumph ging sie durch die Räume. Gehört mir... gehört alles mir... Die Alte oben kann in eine Pension ziehen... neue Einrichtung fürs Eßzimmer... Robert wird alles tun, was ich will, ich bin kein solches Schaf wie seine Frau, ich werde ihn so verrückt machen, bis er tut, was immer ich will...
    »Arme Monika«, sagte sie mit einem letzten Blick auf das Bild. »Es wird dir noch leid tun, daß du nicht ertrunken bist.«

    *

    Im Kamin brannte Feuer, das sich in den großen Fenstern der Bibliothek spiegelte. Auch das Bild über dem Kamin spiegelte sich. Irene konnte es sehen, wenn sie von ihrem Sessel aus zu den Fenstern schaute, vor denen die Kinder standen und auf den Lichtschein warteten, der nun jeden Augenblick unten auf der Seestraße aufleuchten mußte.
    Alle waren aufgeregt.
    »Sie kommen!« schrie Dominique und rannte hinaus. Martin hinterher. Frau Berckheim war aufgesprungen und ans Fenster getreten. Irene folgte langsam.
    Und dann, wenige Minuten später, hörten sie die vertraute Hupe von Roberts Wagen.
    Die Kinder standen draußen im hellen Lichtschein unter dem Glasdach über dem Portal. Frau Berckheim folgte ihnen. Irene blieb unter der Tür stehen.
    Sie sah diese Frau aussteigen, sah sie die Kinder umarmen, küssen, sah Robert ein wenig hilflos dabeistehen.
    Wirklich, dachte sie, er ist ein Mann, den man um den Finger wickeln kann, wenn man es geschickt anfängt.
    Irene ging ihnen keinen Schritt entgegen. Sie wollte, daß volles Licht auf ihr und Monikas Gesicht fallen sollte, sie wollte diesen ersten Überraschungserfolg, wollte den Schrecken in Monikas Gesicht auskosten.
    Oder würde Monika sie überhaupt nicht erkennen? Vielleicht hatte wirklich Wolfgang Rothe am Steuer gesessen, vielleicht war Monika im Wagen geblieben oder hatte sich stillschweigend verdrückt, ohne das Mädchen vor dem Wagen überhaupt zu sehen?
    Da kamen sie.
    Monika mit den Kindern an beiden Händen, dahinter Robert und seine Mutter. Jetzt trat Monika in den hellen Lichtschein, hob den Blick zu Irene.
    Als habe sie einen elektrischen Schlag bekommen, blieb sie

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