Anruf aus Nizza
jungen Schwester:
»So, Sie kleine, wehrhafte Person, nun können Sie heute ihren Kram hier allein machen, Dr. Berckheim wird anderweitig nötiger gebraucht.«
Nach Monikas Anruf, diesem verzweifelten Gestammel, wäre er am liebsten nach Ried hinausgefahren. Aber hätte das eine Lösung gebracht?
Es gab nur einen Menschen, der ihr helfen konnte, und das war ihr Mann. Er. Wolfgang Rothe, konnte Monika nur noch den Beweis seiner Liebe erbringen, und das hatte er soeben getan.
*
Das nächtliche Gewitter hatte Abkühlung gebracht. Nun fegte ein frischer Wind die letzten Wolkenfetzen über dem See davon, die Wellen zeigten noch weiße Kämme.
Monika schaute aus dem Fenster. Sie hatte diese Nacht dazu benutzt, ihre Sachen zu ordnen. Sie arbeitete automatisch wie eine Maschine, räumte Schubladen auf, weil es doch für Robert peinlich sein mußte, nach ihrer Festnahme irgendwo Unordnung vorzufinden, zerriß Papiere und Briefe, die nun keine Bedeutung mehr haben würden, klammerte ein paar Rechnungen zusammen und heftete einen Zettel dazu: Unbezahlt.
Als der Morgen zu grauen begann, war sie für kurze Zeit an ihrem Schreibsekretär eingeschlafen, den Kopf auf ihren verschränkten Armen, war später wieder aufgewacht, hatte eine Zigarette geraucht und zwei oder drei Kognaks getrunken.
Und jetzt stand sie am Fenster und schaute auf den See hinaus. Ob man, wenn man gut schwimmen konnte, ertrinken würde, wenn man ins Wasser sprang?
Aber nein, sie wollte ja am Leben bleiben, wollte vor einem Richter stehen und sagen: jawohl, ich habe das getan, weil es einfach keinen anderen Ausweg mehr gab.
Als sie unten auf der Terrasse die Kinder hörte, krampfte sich ihr Herz zusammen. Was würde man ihnen erzählen?
Und trotzdem schien es Monika besser, als sie Irene zu überlassen und einem Robert, der sich aus den Fängen dieses Mädchens nicht befreien konnte. Wie lange muß man im Gefängnis bleiben, wenn man lebenslänglich bekommt? Wann wird man begnadigt? Lebenslänglich?
Ihr schauderte, und die hölzernen Sprossen des Fensters wurden plötzlich zu eisernen Gittern.
»Aber schlafen«, murmelte sie, »schlafen wird man können und kein schlechtes Gewissen wird man haben und keine Angst mehr...«
Sie wartete, bis sie die Kinder zum See hinunterlaufen sah, dann verließ sie ihr Zimmer, nach einem letzten Blick des Abschieds. In ihrer Tasche hatte sie die Ampulle mit dem Gift.
Sie traf Irene unten in der Diele.
»Guten Morgen«, sagte sie und wunderte sich darüber, wie ruhig ihre Stimme klang. Auch Irene schien sich darüber zu wundern. Sie zog die Augenbrauen hoch.
»Guten Morgen«, sagte sie, beinahe widerwillig. »Haben Sie sich alles überlegt?«
»Ja, alles. Und ich sehe ein, daß es für mich keinen anderen Ausweg gibt. Sie haben das Spiel gewonnen, Irene.«
Es war das erste Mal, daß sie nicht Fräulein Keltens sagte. Man kann leicht freundlich sein zu Menschen, die einen nicht mehr lange quälen werden.
Hoffentlich merkt sie nichts, dachte Monika, und sagte: »Es gibt allerdings noch einige Punkte, über die ich mit Ihnen sprechen möchte.«
Sie öffnete die Tür der Bibliothek und ließ Irene sogar den Vortritt, die sich in einen der breiten, bequemen Ledersessel setzte.
»Nun, Frau Berckheim, ich höre.«
»Ich habe einen Brief geschrieben«, begann Monika. »Einen Brief an meinen Mann, in dem ich ihm erkläre, weshalb ich Ried und die Kinder verlasse. Ich habe ihm geschrieben, daß ich verreisen werde, zunächst, und daß ich mit einer Scheidung einverstanden sein werde. Ist das in Ihrem Sinne?«
»Natürlich. Kann ich den Brief lesen?«
»Wozu?«
»Sie könnten auch etwas anderes geschrieben haben.«
»Was hülfe mir das? Ich kann doch nur die Wahrheit schreiben, und das dürfte meinem Mann für eine Scheidung genügen.« Sie trat zu dem Bücherschrank, holte zwei Gläser heraus und ging damit zur Tür.
»Ich habe Durst«, sagte sie. »Trinken Sie einen Campari mit mir?«
Diese Szene hatte sie sich in der Nacht immer wieder vorgestellt und befürchtet, Irene würde nein sagen. Jetzt, in diesem Augenblick, hoffte sie es. Wenn ihr Plan jetzt mißlang, aus irgendeinem Grund, dann wäre das eine Art von Gottesurteil.
»Keine schlechte Idee«, sagte Irene.
Monika holte aus dem Eisschrank die Würfel, kehrte in die Bibliothek zurück und füllte die Gläser so, daß sie dabei mit dem Rücken zu Irene stand.
Sie goß den Inhalt der kleinen Ampulle in das Glas, ließ den Campari darüberlaufen und
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