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Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Titel: Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Schilling-Frey
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seine Tugenden. Er geht davon aus, dass die Seele aus einem irrationalen und einem rationalen Teil besteht: Im irrationalen Teil befindet sich beispielsweise das Ernährungsvermögen. Dieses Ernährungsvermögen haben nicht nur Menschen, sondern auch Tiere; aus diesem Grund handelt es sich dabei nicht um etwas spezifisch Menschliches. Der irrationale Teil der Seele gehört nicht zum ergon , zum Besonderen des Menschen.
    Im rationalen Teil der Seele befinden sich die Weisheit, die Wissenschaft, die Vernunft und das Denkvermögen. Auch das Strebevermögen und die ethischen Tugenden sind dem rationalen Teil der Seele zuzuordnen. Somit ist der rationale Teil der Seele das Besondere der Menschen. Menschen, die glücklich sein wollen, müssen sich also um diesen Teil der Seele kümmern.
    Für Aristoteles gibt es nicht nur die ethischen, sondern auch die sogenannten dianoetischen Tugenden. Diese dianoetischen Tugenden sind Verstandestugenden: Dazu gehören wissenschaftliche und theoretische Tugenden wie beispielsweise Mathematik, die man mithilfe eines guten Lehrers lernen kann. Zu den dianoetischen Tugenden gehören aber auch praktische und überlegende Tugenden, die man hauptsächlich durch Erfahrung lernt: Zu diesen praktischen Tugenden gehört beispielsweise die Klugheit, die den Menschen befähigt, im richtigen Moment das Richtige zu tun.
    Schauen wir uns hierzu ein Beispiel an: Eine Frau beobachtet, wie zwei Skinheads ein Kind herumschubsen. Eine kluge Reaktion wäre, nicht einfach kopflos dazwischenzufahren, da sie durch eine solche Reaktion nicht nur ihre eigene Gesundheit, sondern auch die des Kindes aufs Spiel setzen würde. Stattdessen täte sie gut daran, schnell Hilfe zu holen.
    Vielleicht hat praktische Klugheit auch etwas mit Straßenschläue zu tun. Wir alle kennen Menschen, die theoretisch bestens Bescheid wissen, wie das Leben funktioniert, mit ihrem Alltag jedoch maßlos überfordert sind. Dagegen gibt es Menschen, die vieles im Leben nicht wirklich erklären können, aber Meister darin sind, ihr Leben und ihren Alltag zu bewältigen – ganz nach dem Motto: »Denn sie wissen nicht, was sie tun.« Kommen diese praktische Straßenschläue und reflektiertes Wissen zusammen, haben wir es mit Klugheit zu tun.
    Im Gegensatz dazu sind ethische Tugenden Charaktertugenden. Und diese sind, laut Aristoteles, eine Sache der Übung: Durch Wiederholung und Gewöhnung wird der Mensch ethisch tugendhaft. Denn in der Seele befinden sich nicht nur Tugenden, sondern auch Leidenschaften wie Begierde, Zorn, Angst oder Neid. Diese Leidenschaften werden uns in die Wiege gelegt – wir können uns nicht dagegen wehren. Darüber hinaus beherbergt die Seele jedoch auch die Fähigkeiten. Diese Fähigkeiten, so wissen wir heute, sind wahrscheinlich Sache des Gehirns: Sie ermöglichen, dass wir Leidenschaften überhaupt empfinden können. Wenn wir beispielsweise kein Mitleid oder keinen Schmerz empfinden, haben wir keine Chance, adäquat damit umzugehen. Dies könnte an einem Mangel unserer sinnlichen Wahrnehmung liegen.
    Leidenschaften und Fähigkeiten sind uns, in der Definition von Aristoteles, angeboren. Die ethischen Tugenden, die Charaktertugenden, hingegen sind veränderbar und somit trainierbar. Gegen die Leidenschaften selbst, wie Zorn oder Wut, können wir nichts tun: Wie wir uns jedoch zu diesen Leidenschaften verhalten, ist eine Frage des Charakters.
    Dazu Aristoteles: »Die Tugend ist also doppelter Art, verstandesmäßig und ethisch. Die verstandesmäßige Tugend entsteht und wächst zum größten Teil durch Belehrung; darum bedarf sie der Erfahrung und der Zeit. Die ethische dagegen ergibt sich aus der Gewohnheit; daher hat sie auch, mit einer nur geringen Veränderung, ihren Namen erhalten.« – »Die Eigenschaften entstehen aus den entsprechenden Tätigkeiten. Darum muss man die Tätigkeiten in bestimmter Weise formen. Denn von deren Besonderheiten hängen dann die Eigenschaften ab. Es kommt also nicht wenig darauf an, ob man gleich von Jugend aus an dies oder jenes gewöhnt wird; es kommt viel darauf an, ja sogar alles.« 16
    Es sind also die wiederholenden Tätigkeiten, die den Charakter formen. Wichtig sind dabei die Erziehung und natürlich vor allem die Tätigkeiten selbst: Positive Verhaltensweisen müssen wiederholt und bestärkt werden, um positive Charaktereigenschaften lernen zu können. Aber auch bei anderen, beispielsweise bei unseren Kindern, müssen wir Tätigkeiten überprüfen und auch vorleben.

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