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Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Titel: Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Schilling-Frey
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Teil auf das Prinzip Eigennutz zurückgeführt werden: den Kampf um Territorium, Nahrung und das Erhalten der Rasse oder die biologische Bindung eines Kindes an die Mutter.
    Natürlich sind gefühlvolle Bindungen unter Tieren und auch unter Menschen nicht absolut frei von Eigennutz. Doch lässt sich alles, was Menschen tun, ohne ein Gefühl der Liebe erklären? Handeln Menschen wirklich nur aus Eigennutz? Würde ich nur aus Eigennutz handeln, müsste ich zu jeder Zeit meine eigenen Interessen kennen, um dementsprechend handeln zu können. Aber wer weiß schon immer, was die eigenen Interessen sind?
    Unser Leben besteht ca. zu 70 Prozent aus Alltag und damit aus Gewohnheit. Ich stehe auf, ziehe mich an, frühstücke, bringe mein Kind zur Bushaltestelle, räume das Geschirr weg, mache die Betten etc. Ich denke dabei eigentlich nicht über meine eigenen Interessen nach.
    Für Nietzsche ist die Moral so etwas wie das Gewissen. Eine Art »soziale Zwangsjacke« mit ihren Sitten, Regeln und Gesetzen, die den Menschen daran hindert, seine natürlichen Instinkte auszuleben. Da diese Instinkte nicht nach außen ausgelebt werden können, wenden sie sich ins Innere des Menschen. In Genealogie der Moral schreibt Nietzsche: »Es handelte sich insonderheit um den Wert des ›Unegoistischen‹, der Mitleids-, Selbstverleugnungs-, Selbstopferungs-Instinkte … Aber gerade gegen diese Instinkte redete aus mir ein immer grundsätzlicherer Argwohn, eine immer tiefer gehende Skepsis … ich verstand die immer mehr um sich greifende Mitleids-Moral, welche selbst die Philosophen ergriff und krank machte, als das unheimlichste Symptom unsrer gewordnen europäischen Kultur.« 33
    Unsere Kultur und unsere Sitten waren es also, die dem Menschen eine soziale Zwangsjacke und damit eine Moral verpassten. Damit wird der Mensch berechenbar gemacht. Er kann jetzt eingeschätzt werden und ist in der Lage zu versprechen. Der Mensch wird zum »allermodernsten bescheidnen Moral-Zärtling«, der »nicht mehr beißt« und »artig die Hand« gibt.
    Was für Nietzsche eine Krankheit: Mitgefühl, Zuneigung, Hingabe und Verantwortlichkeit, ist wohl nicht von Menschen gemacht, sondern eher ein Erbe der Natur: Mitgefühl, Mitleid und Mitfreude sind hauptsächlich auf unser evolutionäres Erbe der Spiegelneurone zurückzuführen. Wie wir bereits besprochen haben, haben Untersuchungen gezeigt, dass Zellen in unserem Gehirn auch dann »feuern«, wenn wir nur mit ansehen, wie andere Menschen leiden oder auch sich freuen. Mitleid ist also wirkliches Leid und Mitfreude, wirkliche Freude. Wenn wir anderen Menschen helfen, ihr eigenes Leiden zu lindern, helfen wir damit auch uns selbst. Machen wir anderen eine Freude, freuen wir uns selbst. Damit ist gewissermaßen auch altruistisches Verhalten eigennütziges Verhalten. Es handelt sich dabei um eine besondere Form des Eigennutzes, den empathischen Eigennutz.
    Wohl liegt es in unserer Natur, Gemeinsinn und Eigensinn, Altruismus und Egoismus, Empathie und Eigennutz, miteinander zu verbinden. Das bedeutet eher nicht, dass wir als egoistische Einzelgänger geboren werden, die nur aufgrund bestimmter Zwänge einen sozialen Lebensstil annehmen können. Denn wir haben nicht nur soziale Bedürfnisse, sondern wir sind auch in der Lage, gemeinschaftlich zu leben, nicht zuletzt durch unsere Spiegelneurone. Was noch lange nicht heißt, dass wir eigentlich alle »Gutmenschen« sind. Denn wir verfügen nicht nur über moralisch gute Fähigkeiten, sondern auch über das genaue Gegenteil: moralisch schlechte Fähigkeiten. Da wird schon mal der eine oder andere herumkommandiert oder auch hinters Licht geführt. Und wir sind dazu fähig, Freundschaften auszubauen, aber genauso gut können wir andere ausgrenzen.
    Vielleicht sollten wir aber auch aufhören damit, alles unter den Primat des Eigennutz oder des Egoismus zu stellen. Es wird Zeit, das »Gemeinsame« und das »Eigene« als gleichberechtigte Partner und als Team zu verstehen, die zusammengehören und eine Einheit bilden. Stefan Klein weist in seinem Buch Der Sinn des Gebens darauf hin, dass wir in einem schwierigen Gleichgewicht von Nachsicht und Gier, Kooperationsbereitschaft und Streben nach dem eigenen Vorteil leben. Und nicht nur das: Es scheint sogar so zu sein, dass nicht rücksichtslose Bereicherung, sondern eher Vertrauen Gesellschaften wohlhabend macht. Volkswirtschaften, deren Angehörige sich wohlwollend einschätzen, wachsen schneller als andere. Denn es ist

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