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Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Titel: Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Schilling-Frey
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Tag zu Tag mehr. Sie bekam Atemnot und in ihren Lungen sammelte sich immer mehr Flüssigkeit. Sie verstarb schließlich an einem Lungenödem.
    1973 veröffentlichte der amerikanische Psychologe David Rosenhan eine Studie mit dem Titel On being sane in insane places (zu Deutsch: Gesund in kranker Umgebung). Dabei handelt es sich um den Abschlussbericht eines Forschungsprojekts, bei dem sich Rosenhan und mehrere Mitarbeiter freiwillig in Nervenkliniken aufnehmen ließen, indem sie behaupteten, Stimmen zu hören. Sofort nach der Aufnahme in eine Klinik gaben die Teilnehmer des Forschungsprojekts an, keine Stimmen mehr zu hören. Generell verhielten sie sich nach der Klinikaufnahme ganz normal. Trotzdem wurden sie in den Kliniken behandelt. Die Behandlungsdauer der einzelnen »Patienten« schwankte zwischen sieben und 52 Tagen. Alle wurden mit der Diagnose »Schizophrenie in Remission« entlassen. Keiner der Projektteilnehmer wurde als »Pseudopatient« entlarvt. Es ging sogar so weit, dass ihre eigentlich ganz normalen Verhaltensweisen als Beweis für die Richtigkeit der Diagnose gewertet wurden.
    Der Psychotherapeut Paul Watzlawick weist darauf hin, dass die Diagnose eine Art Wirklichkeit erschuf, die es nicht mehr möglich machte, sich an den beobachtbaren Tatsachen zu orientieren. Diese Art von Wirklichkeit führte dann dazu, alle klinischen Maßnahmen zu rechtfertigen und durchzuführen.
    Diese Beispiele zeigen eindringlich, wie wichtig der Blickwinkel ist. Wir können uns jetzt fragen, was diese Beispiele mit Moral zu tun haben. Aber auch die Frage nach Gut und Böse ist vor allem eine subjektive Bewertung. Denn es ist mein Blickwinkel, meine Art von Wirklichkeit, die ich konstruiere, um entsprechend bewerten zu können. Diese Art von Moral würde Nietzsche vermutlich unterstützen, weil es mein Blickwinkel und meine Art von Wirklichkeit ist. Was Nietzsche kritisiert, ist die Moral eines Menschen, der absolute, metaphysische Werte, die beispielsweise von einer Religion vorgegeben werden, so stark verinnerlicht, dass der Mensch davon ausgeht, dass es eigene Werte sind – unreflektiert.
    Es gibt Dinge, die ich völlig unbewusst bewerte, aber es gibt auch Dinge oder Situationen, die ich ganz bewusst bewerte. Bei der bewussten Bewertung spielt Entschiedenheit eine ganz große Rolle. Die Entscheidung ist der Schritt, der meine Art von Wirklichkeit konstruiert. Oftmals nehmen die Dinge ihren Lauf, je nachdem, wie ich mich entschieden habe. Deshalb ist die Entschiedenheit auch die absolute Voraussetzung für ein gutes Gelingen.
    Am Anfang des Buches habe ich Ihnen von dem berühmten Esel erzählt, der zwischen zwei herrlich duftenden Heuhaufen verhungerte, weil er sich nicht entscheiden konnte. Eine Entscheidung hat natürlich immer etwas mit »Scheiden« zu tun. Das heißt, dass mit einer Entscheidung Alternativen verloren gehen. Gleichzeitig bringt eine Entscheidung immer eine Vielzahl von Möglichkeiten und Alternativen mit sich, die sich Ihnen anders nicht eröffnet hätten. Aber Entscheiden bedeutet nicht nur, mir etwa zu überlegen, ob ich Ärztin oder Betriebswirtin werden soll, sondern auch für welche Art von Wirklichkeit ich mich entscheide. Das fängt in Grundsätzen damit an, ob ich eher Pessimist oder Optimist bin. Diese unterschiedlichen Bewertungen führen dann zu unterschiedlichen Handlungen.
    In der griechischen Antike hatte der Philosoph Platon noch angenommen, dass es eine wahre, objektive, menschenunabhängige Wirklichkeit gibt. Spätestens seit der Philosophie von Immanuel Kant wissen wir, dass die Idee einer solchen Wirklichkeit philosophisch unhaltbar ist. Zwei Menschen können dieselbe Situation völlig unterschiedlich bewerten. Damit können wir vergleichbaren Situationen einen ganz unterschiedlichen Sinn zuschreiben.
    Es hängt also fast alles davon ab, wie ich Lebenssituationen, Ereignisse, Dinge interpretiere, bewerte, einschätze und moralisiere. Wenn Moral ausschließlich ein evolutionäres Erbe wäre, würde das dann heißen, dass es keinen Unterschied zwischen der Moral von Menschen und Tieren gibt?
    Schauen wir uns den Unterschied zwischen einer Handlung und einer Bewegung an. Müssten wir Handlung und Bewegung auf Mensch oder Tier zuordnen, würden wir wohl die Bewegung eher dem Tier und die Handlung eher dem Menschen zuordnen. Ein Tier steuert seine Bewegungen als intentionale Bewegungen, das heißt, seine Bewegungen haben eine Absicht. Diese Absicht muss noch nichts mit Bewusstsein zu

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