Anständig essen
Rasenmäher durch den Garten, um die Kalorienbilanz wieder auszugleichen. Darauf habe ich ja nur gewartet.
»He«, rufe ich, »was tust du da?«
Jiminy stellt den Rasenmäher aus.
»Du verletzt die Gräser«, sage ich.
»Quatsch, das pflegt den Rasen. Der wird viel schöner und dichter, wenn ich ihn mähe.«
»Aber der Rasen ist nicht die Pflanze. Der Rasen ist eine Ansammlung einzelner Grashalme, die dicht gedrängt wie Fußballfans in einem Stadion nebeneinander stehen. Die Halme sind die Pflanzen, und jeder einzelne wird von dir verletzt, gestutzt und an der freien Entfaltung gehindert – nur für den Gesamteindruck.«
»Ja«, sagt Jiminy, allmählich etwas müde von den Belehrungen der Supergrille, »so etwas nennt man Zivilisation. Hast du dir übrigens mal den Holunder angesehen? Alles voller Blattläuse. Die darf ich jetzt wahrscheinlich auch nicht mehr bekämpfen, was?«
Ich schau mir den alten Holunderstrauch neben dem Maultierstall an. Dicht an dicht sitzen die Blattläuse an den Stängeln und Zweigen. Teilweise sieht das aus, als trüge der Holunder einen samtigen, hellgrauen Thermoanzug.
»Bitte schön«, sagt Jiminy, »ich rühr nichts mehr an. Du kannst hier gerne alles verwildern und auffressen lassen.«
Eine Ameise läuft über die Blattläuse hinweg. Tierrechtler echauffieren sich ja gern darüber, dass der Mensch die einzige Spezies sei, die etwas so Krankes machen würde, wie bei einer anderen Tierart die Milchdrüsen zu stimulieren, um an die Milch zu kommen. Dasstimmt – aber nur wenn man den Tatbestand daran festmachen will, dass es sich bei der Flüssigkeit um Milch handeln muss. Ansonsten gibt es ja wohl immer noch die Blattläuse melkenden Ameisen. Ameisen grabbeln und streicheln an den Hinterleibern von Blattläusen herum, um sie zur vermehrten Ausscheidung ihrer zuckerhaltigen Exkrementströpfchen zu bringen, die sie dann auflutschen. Das ist ja wohl mindestens genauso krank! Und grausam sind sie auch noch. Wenn die Blattläuse Flügel bilden, um an einen anderen Ort zu fliegen, beißen die Ameisen ihnen die Flügel wieder ab, um sie weiter melken zu können. Es gibt also keinen Grund, immer bloß auf dem armen Homo sapiens herumzuhacken.
»Wenn man schon keinen Rasen mähen darf, was ist dann eigentlich mit Bonsai-Bäumen«, fragt Jiminy provozierend, »das ist dann wohl Folter?«
Ich muss kurz nachdenken.
»Misshandlung«, sage ich dann. »Ich würde es Misshandlung nennen.«
Auch wenn man davon ausgeht, dass eine Pflanze weder über ein Schmerzempfinden noch über sonstige Bewusstseinszustände noch über einen Willen verfügt, so hat sie doch – wie jedes andere Lebewesen auch – drei grundlegende Interessen, und zwar:
1.) zu leben,
2.) gut zu leben,
3.) sich fortzupflanzen.
Die klassischen Mittel einer Pflanze, ihre Interessen durchzusetzen, bestehen darin, dorthin zu wachsen, wo die meiste Sonne hinkommt, und mit den Wurzeln tief in den Boden bis zur nächsten Wasserader vorzustoßen.
»Bonsai-Zucht, das ist künstlicher Kleinwuchs und Verkrüppelung, indem man die Bäume in zu flache Töpfe stellt, sie zu wenig düngt und ihnen absichtlichdas Leben schwer macht«, sage ich. »Also, das ist ja wohl kein gutes Leben.«
»Vielleicht sollten wir mal eine Bonsai-Befreiung machen«, sagt Jimniy.
In Nordindien, wo seit August ungewöhnlich viel Regen gefallen ist, gibt es schwere Überschwemmungen. Überschwemmungen auch in Honduras und Haiti. Dort wütet zusätzlich noch Tropensturm Matthew. Nach monatelangen Regenfällen – in Mittelamerika hat es seit ungefähr 60 Jahren nicht mehr so viel geregnet wie in diesem Jahr – sind die Böden so aufgeweicht, dass nun Erdrutsche drohen.
Ich esse fast jeden Tag das Gleiche: morgens zwei Bananen und eine halbe Melone, mittags Erbsen und Tomaten in Kokosmilch, abends Erbsen und Tomaten in Kokosmilch und zwischendurch Äpfel, Äpfel, Äpfel. Erbsen sind das einzige Gemüse, bei dem ich einigermaßen satt werde. Ich habe die Nase allmählich voll. Jeden Tag die schlimmste aller denkbaren Diäten und in letzter Zeit nehme ich noch nicht einmal mehr ab. Wer schon einmal eine Fastenkur gemacht hat, weiß, dass die ersten drei Tage am härtesten sind. Kopfschmerzen, Schwindelgefühle und ständig Hunger. Dann legt sich das. Bei der frutarischen Diät bleibt es die ganze Zeit so. Bisher habe ich mich immer mit einer Tüte Studentenfutter über den Tag gerettet, dann kommt mir eine Packung in die Finger, bei der der Produzent
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