Anständig essen
ballförmiges Gewächs, das von seiner Mitte aus Äste und Zweige in alle Richtungen treibt. Millionen Evolutionsideen werden gleichzeitig ausprobiert, man spielt mit den Bauplänen der Lebewesen und an den Spitzen der Äste sitzen die jeweils aktuellen Spezies gleichberechtigt nebeneinander. Intelligenz ist dabei nur ein Versuch, eine Überlebensstrategie von vielen, wie Giftfäden an australischen Quallen, die Stacheln auf dem Rücken eines Igels oder die Fähigkeit eines Bären, den unwirtlichen Winter einfach zu durchschlafen. Nichts weiter als ein Versuch. Während sich an dem einen Ast die Intelligenz der Hominiden immer weiter entwickelt, perfektioniert sich an einem anderen das Sozialleben der Wölfe und an einem dritten die Flugfähigkeit eines Insekts. Woran will man erkennen, ob der große Designer eines seiner Abermillionen Geschöpfe für besser gelungen hält als die anderen? Ihre Qualität ermisst sich doch allenfalls daran, wie jedes einzelne an seine Umgebung angepasst ist und wie gut es seine Lebensaufgabe meistert. Möglicherweise ist der Mensch der am weitesten entwickelte Affe. Aber er ist nicht die Weiterentwicklung eines Krokodils.
Na gut, wenn Intelligenz nur eine Evolutionsidee von vielen ist und wir also auch nicht das Ziel sind, auf dassich alles hinentwickelt, dann sind wir doch wohl wenigstens das höchstentwickelte von allen Lebewesen. Das ist doch wohl klar. Kurzfristig sah es so aus, als ließe sich das sogar wissenschaftlich belegen. Man hatte nämlich etwa 40 000 Gene beim Menschen gezählt, und das war schließlich viel mehr als die popeligen 6000 Gene eines Darmbakteriums oder die 13 500 Gene einer Taufliege. Je mehr Gene, umso weiter entwickelt. Als sich dann herausstellte, dass Reis etwa 50 000 Gene besitzt, war das wie ein Schlag ins Gesicht. Eine Pflanze war bewiesenermaßen das höher entwickelte Lebewesen. Die Reispflanze hatte bei ihrer Überlebensstrategie eine völlig andere Richtung eingeschlagen, aber dabei hatte sie einen deutlich weiteren Weg zurückgelegt als wir. Die nächste Ohrfeige für die Eigenliebe gab es, als sich kurz darauf herausstellte, dass man sich bei den eigenen Genen auch noch verzählt hatte. Bausteine, die damals als Gene eingestuft worden waren, waren in Wirklichkeit bloß Kopien gewesen, und Teile eines Gens waren fälschlicherweise als ganzes Gen mitgezählt worden. Anscheinend besaß der Mensch in Wirklichkeit nur 20 000 bis 25 000 Gene – weniger als gewöhnliches Gartenunkraut wie die gemeine Gänserauke. Damit spielte der Homo sapiens in einer Liga mit dem einen Millimeter großen Fadenwurm Caenorhabditis elegans, der immerhin 19 000 Gene besaß. Dass man 2004 doch noch mal 10 000 zusätzliche menschliche Gene entdeckte, war dann auch kein wirklicher Trost mehr.
Wenn wir weder der Grund für die Entstehung des Universums sind noch das Ziel, auf das alles hinausläuft, und im großen Spektrum der Evolution noch nicht einmal das am weitesten entwickelte Lebewesen – wie lässt sich dann die Selbsteinschätzung aufrechterhalten, der Primus der Schöpfung zu sein?
Na, dass wir die erfolgreichste und mächtigste aller bisher aufgetretenen Arten sind, kann ja wohl niemand bestreiten. Andere Tiere müssen sich mühsam ihrer Umgebung anpassen, wir haben die Erde unseren Bedürfnissen unterworfen, Häuser gebaut, Autos gebaut, Straßen für unsere Autos und Klimaanlagen für unsere Häuser, den Boden gedüngt und Pflanzen genetisch verändert. Gefährliche Tiere haben wir weitestgehend ausgerottet oder hinter Gittern gesteckt und einen Haufen ungefährlicher Tiere gleich dazu. Den nützlichen Tieren haben wir die Hörner ausgebrannt, die Schnäbel oder die Ringelschwänze beschnitten, damit sie für unsere grausamen Ställe taugen. Was nicht passt, wird passend gemacht. Und wer das Bedürfnis verspürt und es bezahlen kann, lässt eine Heizung in seiner Garagenauffahrt versenken und muss nie wieder Schnee schippen.
Ohne Intelligenz wäre das alles nicht möglich gewesen. Also ist Intelligenz ja wohl doch nicht bloß eine von mehreren gleichrangigen Evolutionsideen, sondern die Super-Eigenschaft schlechthin. Vor 500 000 Jahren hatte das menschliche Gehirn die heutige Größe erreicht. Vor 150 000 Jahren entstand die Sprache. Und seit 100 000 Jahren kann man die Evolution des Homo sapiens als abgeschlossen betrachten. 100 000 Jahre ist allerdings nicht besonders viel. Die Dinosaurier haben mehr als 150 Millionen Jahre lang diesen Planeten
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