Anständig essen
Bei Raupenbefall locken sie mit Duftstoffen Schlupfwespen an, von denen dann die Raupen gefressen werden.
Pflanzen sind auch keineswegs so bewegungsunfähig, passiv und statisch, wie wir uns das gern einbilden. Sie können durchaus mehr, als auf der Fensterbank herumstehen und die Luft verbessern. Nur bewegen sie sich meist so langsam, dass es außerhalb unseres Wahrnehmungsbereichs liegt. Pflanzenwurzeln suchen aktiv nach Nährstoffen und können zwischen selbst und nicht selbst unterscheiden. Sie konkurrieren mit dem Wurzelwerk anderer Pflanzen, kommen ihren eigenen Wurzeln aber nicht ins Gehege. Kleeseide testet mit den ersten Sprossen, die sich an die Oberfläche der Erde wagen, ob die Pflanze, die sie umranken will, auch gesund und kräftig ist. Andernfalls wird sie links liegen gelassen. Der Zappelphilipp unter den Pflanzen ist die Indische Telegraphenpflanze (Desmodium motorium), die ihre Blätter nicht nur zum Schlafen herunterklappt, sondern auch für uns deutlich sichtbar bewegt. Spielt jemand Musik, beginnt sie sogar, ihre Bewegungen dieserMusik anzupassen. Möglicherweise handelt es sich bei ihrem Tanz bloß um eine Art Pumpbewegung, die den Transport von Mineralstoffen beschleunigen soll – aber man fragt sich natürlich, warum sie das unbedingt im Takt der Musik tun muss. Hat Desmodium den Rhythmus im Saft?
Wenn man sich erst einmal an den Gedanken gewöhnt hat, dass Pflanzen sehr viel mehr Fähigkeiten und Ausdrucksmöglichkeiten besitzen, als man ihnen im Allgemeinen zutraut, dann scheint es plötzlich auch nicht mehr völlig abwegig, dass sie empfindungsfähig sein könnten. Einer Schöpfung, die Geburtenregelung praktiziert, indem sie empfindungsfähige Tiere zu Milliarden einfach auffressen, verhungern, verdursten und erfrieren lässt, ist eigentlich auch zuzutrauen, dass sie Lebewesen hervorbringt, die leiden müssen, ohne die geringste Chance, sich diesem Leiden entziehen zu können.
Ich gehe nicht mehr gern aus. Die guten Gerüche überall in der Stadt machen mir zu schaffen. Zu Hause kann ich mich mit meinem Topf gekochter Erbsen oder Bohnen leichter abfinden. Also sitze ich jetzt oft vor dem Fernseher. Noch öfter, würde Jiminy sagen. Beim Zappen bleibe ich immer wieder bei Kochshows hängen. So etwas hätte ich mir früher nie angesehen. Seit ich Frutarierin bin, verfolge ich mit saugnapfgroßen Pupillen jeden Schritt der Lebensmittelzubereitung und komme mir wie ein Porno-Konsument vor. Diesmal stoße ich allerdings auf eine Talkshow: »Natürlich Steffens!«. Nach sportlichen Rentnern und dem XXL -Ostfriesen Tamme Hanke kommen die hessische Ex-Milchkönigin Melanie Reusse und der Literaturwissenschaftler Florian Werner zu Wort. Die hessische Milchkönigin hat zu Hause 270 Kühe im Laufstall stehen, und es ist ihr eingroßes Anliegen, dass wir alle noch viel mehr von der guten Milch trinken. Sie hat ein Kalb mitgebracht, das die ganze Zeit an ihrer Hand saugt und sabbert. Dass Kälber auf diese Weise ihre Verlassenheitsgefühle ausagieren, ist in der Milchwirtschaft normalerweise nicht erwünscht. Im Agrarkatalog der Firma Siepmann kann man stachelbewehrte »Viehsaugentwöhner« kaufen, deren »elastisches Material« eine »einwandfreie Befestigung im Nasenknorpel der Jungtiere« gewährt. Jedes Mal, wenn ein Kalb mit so einem Ring in der Nase an einem anderen Kalb saugen will, drückt es ihm die Stacheln des Saugentwöhners ins Fleisch, und das andere Kalb nimmt Reißaus. In einer Talkshow kommt das neurotische, ständig saugende Kalb natürlich sehr niedlich rüber. Aber vielleicht hat es ja auch einfach bloß Hunger. Der Literaturwissenschaftler Dr. Florian Werner hat ein Buch geschrieben: »Die Kuh – Leben, Werk und Wirkung«. Moderator Steffens erwähnt die Methangase, die für das Klima doch so schädlich sein sollen, genauso schädlich wie Auto fahren. Der Literaturwissenschaftler gibt zu, dass es nicht gerade optimal für das Klima ist, wenn die 1,3 Milliarden Kühe auf der Welt täglich und pro Kopf 250 Liter Methangas ausstoßen.
»Umgekehrt sollte man vielleicht nicht vergessen, dass, wenn man natürlich Kühe hält und dafür auch noch schöne Weiden hat und Graslandschaften, dass das auch wieder das Klima aufwertet. Also das Gras produziert da auch wieder Sauerstoff, steuert da also gegen. Das macht das Auto nicht.«
Ich winde mich auf meinem Fernsehsessel. Hat der Mann nicht gerade ein Buch über Kühe geschrieben? Ich habe es übrigens gelesen. Und auf Seite 198
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