Anständig essen
Schlachthöfe zur Wehr zu setzen, die sie ständig mit zu niedrigen Preisen für die Schweine über den Tisch ziehen wollten. Aber wenn in der EU strengere Bestimmungen für den Transport lebender Tiere erlassen wurden, wurde das in den Artikeln nicht freundlich kommentiert. Schweinehalter hören es meist auch nicht gern, wenn sentimentale Spinner fordern, Ferkel müssten vor der Kastration eine Betäubung erhalten. Betäubungen kosten schließlich Geld und die Bereitschaft, sich in die Situation eines anderen hineinzuversetzen, nimmt stark ab, wenn damit Ausgaben verbunden sind. Würde man Schweinemäster fragen, ob das denn nicht sehr schmerzhaft wäre, wenn man dem kleinen Ferkel den Hodensack ohne Betäubung aufschneidet und die Keimdrüse herausschält oder herausreisst wird, so würden sie wahrscheinlich antworten:
»Nur, wenn man sich in den Finger schneidet.«
Egoismus ist ein so schwer zu überwindendes Hemmnis, dass selbst Zuneigung kein Garant für Empathie und Mitgefühl ist, wenn die Bedürfnisse des geliebten Wesens mit unseren Interessen kollidieren.
Millionen Kinder sahen den Disney-Trickfilm »Findet Nemo«, identifizierten sich mit dem Helden, dem kleinen Clownfisch Nemo, litten mit ihm, als er gefangen und in ein Aquarium gesperrt wurde, und fieberten seiner Befreiung entgegen. Man sollte annehmen, dass die nahezu tierrechtlerische Botschaft des Films die Kinder für alle Zeit der Aquaristik entfremdet hätte. Aber nein, im Gegenteil. Die Nachfrage nach Clownfischen stieg nach dem Kinofilm rapide an.
»Pappi, Pappi, bitte kauf mir so einen!«
»Aber dann müsstest du ihn in ein Aquarium sperren! Da wird er doch ganz traurig.«
»Egaaaal!!!!«
Kinder halten auch gern Kaninchen in winzigen Ställen, die an die Hühnerhaltung in Legebatterien erinnert. Wenn man die Realität seines Gegenübers ignoriert, ist es eine schöne Sache, ein geliebtes Lebewesen jederzeit zur Verfügung zu haben, es einfach wegzusperren, wenn man genug davon hat, zu vergessen, dass es existiert, und es wieder hervorzuholen, wenn es einem wieder einfällt. Die Idee des Harems funktionierte so ähnlich. Offenbar ist es möglich, jemanden gern zu haben, ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, ob sich der- oder diejenige bei mir auch wohlfühlt. Harems gibt es offiziell nicht mehr. Aber gebildete Männer in westlichen Kulturen schreiben immer noch Artikel und Bücher darüber, dass es Frauen, die gut bezahlte, attraktive Berufe besetzt halten, eigentlich viel besser gehen würde, wenn sie ihre anstrengende Tätigkeit wieder aufgäben und sich auf Kinder und Haushalt konzentrierten. Natürlich ist es angenehm, zu Hause ein Basislager zu haben, in dem jemand sitzt und sich statt um die Verwirklichung seiner eigenen Wünsche und Sehnsüchte um die Verwirklichung der meinen kümmert. Wer will das nicht. Hätte ich auch gern. Aber zu denken, wenn es für mich angenehm ist, dass meine Frau zu Hause bleibt und für mich die lästigen, zeitaufwendigen, langweiligen Arbeiten erledigt, dass es dann auch für meine Frau angenehm sein muss, ist ein logischer Denkfehler und gehört in die Vorstellungswelt eines Säuglings, der fest davon überzeugt ist, dass es Interessen und Bedürfnisse außerhalb seiner selber gar nicht gibt, oder wenigstens nicht geben sollte. Im Erwachsenenalter muss man für das Ausleben dieser Illusion zumTherapeuten oder ins Bordell gehen. Dem Therapeuten dürfen wir eine Dreiviertelstunde lang von unseren Problemen erzählen, ohne ein einziges Mal zu fragen, wie es ihm geht, und die Prostituierte erträgt nicht nur tapfer unsere tapsigen Bedürfnisse, ohne eigene anzumelden, sondern spielt uns sogar noch helle Begeisterung darüber vor. In beiden Fällen kaufen wir uns mit einem zweistelligen Eurobetrag von der Verantwortung los, die in einer wechselseitigen Beziehung normalerweise liegt. Auch in einem guten Restaurant bezahlen wir unter anderem dafür, dass der Kellner uns glauben lässt, er sehe seinen einzigen Lebenszweck darin, uns zufriedenzustellen. Das ist nicht schlimm, letztlich ist es bloß ein Deal. Solange wir nicht vergessen, dass auch der perfekteste Kellner genauso ein Befindlichkeitsbündel ist wie wir selber.
Ein Meister im Leugnen fremder Realitäten war der Philosoph René Descartes. Tiere hatten seiner Meinung nach mit den Menschen überhaupt nichts gemein. Völlig vernunftlos, selbst zum Sprechen zu blöd, waren sie seiner Meinung nach bloß Maschinen und ihre
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