Anständig essen
Schmerzensschreie waren demzufolge auch nicht relevanter als das Quietschen eines Rades. Ein harter Knochen, dieser Descartes. Selbst Angestellte in Versuchslaboren tragen mitunter Ohrenschützer gegen die Schmerzensschreie der Versuchstiere, um nicht vom Mitleid überwältigt zu werden. Obwohl Descartes so viel Schaden angerichtet hat, dass Biologen noch im 20. Jahrhundert Tiere als programmierte Überlebensmaschinen und reine Befehlsempfänger ihrer Instinkte beschrieben haben, bezweifelt heute nämlich kaum noch jemand, dass Tiere leiden können – was lästig ist, wenn man sie weiterhin so nutzen will wie bisher.
Der amerikanische Ethiker Adam Shriver schlägtvor, die Viehbestände in der industriellen Landwirtschaft gentechnologisch so zu verändern, dass sie keine Schmerzen mehr verspüren, um unnötiges Leid zu verhindern. Ein Lösungsvorschlag in der Tradition männlichen Denkens.
Wenn betrunkene 19-jährige Autofahrer aus Kurven fliegen oder gegen friedlich am Straßenrand stehende Bäume rasen, muss man natürlich die Straßen begradigen und die Bäume fällen. Wenn einen der Anblick von Frauen hormonell aus der Fassung bringt, hängt man sie am besten komplett mit einer Burka zu, und wenn Tiere darunter leiden, wie sie von uns behandelt werden, dann muss man natürlich etwas an den Tieren ändern. Das eigene Verhalten oder die eigene Gewohnheit steht nicht zur Diskussion. Aber abgesehen von der hohen Verletzungsgefahr, der schmerzbefreite Rinder und Schweine ausgesetzt wären, besteht ihr Leid ja zu einem Großteil aus psychischen Belastungen. Man müsste gentechnologisch also auch für eine stimmungsaufhellende Optimierung sorgen, so wie man in den 60er-Jahren mittels großzügiger Psychopharmaka-Gaben (mother’s little helpers) depressive Hausfrauen wieder funktionstüchtig gekriegt hat, ohne an ihren Lebensumständen etwas ändern zu müssen.
Der englische Schriftsteller Douglas Adams hat Shrivers Idee übrigens schon 1980 in seinem Roman »Das Restaurant am Ende des Universums« vorweggenommen und viel weiter gedacht. Dort wurde »das ganze verzwickte Problem« ein für alle Mal gelöst, indem man ein Tier züchtete, das wirklich gegessen werden will und dieses auch klar und deutlich sagen kann. Ein fetter, fleischiger Vierfüßler vom Typ Rind trabt an den Restauranttisch, begrüßt die Gäste und stellt sich als Hauptgericht des Tages vor. »Dürfte ich Ihnen einpaar Teile meines Körpers schmackhaft machen? … Vielleicht etwas aus meiner Schulter? In Weißweinsoße geschmort?« Arthur, einer der Gäste, empfindet dieses Angebot als absolut grauenhaft. »Das Widerlichste, was ich je gehört habe.« Dennoch werden schließlich vier schwach gebratene Steaks bestellt. »Eine sehr kluge Wahl, Sir, wenn ich so sagen darf«, erwidert das Tier und latscht zur Küche, »ich eile sofort und erschieße mich.« Vorher dreht es sich aber noch einmal um und zwinkert Arthur zu. »Keine Bange, Sir, ich mach’s sehr human.«
Ob darin die Lösung des ganzen verzwickten Problems liegt, bleibt dahingestellt. Obwohl 2001 der Diplomingenieur Bernd Jürgen Armando Brandes erst auf seinen ausdrücklichen und dringlichen Wunsch hin von Armin Meiwes, dem Kannibalen von Rothenburg, gegessen wurde, war die deutsche Justiz keineswegs der Meinung, es sei völlig okay, jemanden zu essen, bloß weil derjenige damit einverstanden ist.
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6
März – vegetarisch
»Ich hege keinen Zweifel darüber, dass es ein Schicksal des Menschengeschlechts ist, im Verlaufe seiner allmählichen Entwicklung das Essen von Tieren hinter sich zu lassen.«
(Henry David Thoreau)
»Meine Vorfahren haben sich nicht an die Spitze der Nahrungskette gekämpft, damit ich jetzt Vegetarier werde.«
(Internetweisheit)
Vorgabe: Ich esse kein Fleisch und keinen Fisch.
Es gibt Tofuwürstchen und Grünkernburger und Seitan-Schnitzel und vegetarische Frikadellen. Im Internet habe ich sogar ein eingeschweißtes halbes Hähnchen aus rein pflanzlichen Zutaten entdeckt. Mit ziemlich eckigen Flügeln. An das kubistische Hähnchen habe ich mich ehrlich gesagt nicht herangetraut, aber die Würstchen und die Grünkernburger sind ganz okay – besonders, wenn man Ketchup draufschüttet. Trotzdem esse ich lieber reine Gemüsegerichte. Es kann doch nicht der Sinn der vegetarischen Küche sein, gebratene Tierteile aus Pflanzen nachzubasteln. Oder ich mache mir einen Tomatensalat mit Schafskäse. Inzwischen habe ich in der Bio-Company nämlich sensationell
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