Anständig essen
Zanderfilet oder die in reichlich Soße schwimmenden Kohlrouladen, der lügt doch. Für einen Liebhaber gutbürgerlicher Gerichte wäre die Umstellung auf vegetarische Gerichte also ein viel größerer Einschnitt als für mich. Für Männer sowieso. Die denken ja immer gleich, sie würden vor Schwäche ohnmächtig, wenn es mal einen Tag lang kein Steak oder Schnitzel gibt. Männer essen ungefähr doppelt so viel Fleisch und Wurst wie Frauen. Schon im 19. Jahrhundert war klar, dass Papa das größte Bratenstück bekommt und Gemüse und Obst eher Frauennahrung sind. Deswegen erleben Männer fleischlose Kost als Verweigerung eines Anspruchs, der ihnen eigentlich zustünde.
Einmal saß ich mit zwei Herren in einer Radiodiskussion. Der eine war der bekannte Kulturtheoretiker undSchriftsteller Klaus Theweleit (»Männerphantasien«), der andere war der ehemaliger Wurstfabrikant Karl Ludwig Schweisfurth (Herta), der mit dem ganzen schönen Geld, das sich durch Blut und Wurst verdienen ließ, ein ökologisches Unternehmen gegründet hatte, die Herrmannsdorfer Landwerkstätten. Im Gespräch ging es um artgerechte Tierhaltung und humanere Schlachtmethoden, und irgendwann erwähnte ich die Möglichkeit, einfach gar kein Fleisch zu essen. Dass Herr Schweisfurth, der ehemals größte Wurst- und Fleischfabrikant Deutschlands, sofort »Der Mensch kann ohne Fleisch gar nicht leben« rief, verwunderte mich nicht weiter, aber auch Herr Theweleit sah mich damals an, als wäre ich völlig verblödet.
»Nein, das geht nicht«, sagte er schlicht und schüttelte den Kopf. Dann sahen beide über mich hinweg, wie starke Raucher, denen man eine Entwöhnungskur vorgeschlagen hat. Das ist nun allerdings auch schon ziemlich lange her, mindestens zwölf Jahre. Inzwischen, so »tip«, genießt der Vegetarismus regen Zulauf, besonders seit sich alle um das Klima sorgen. Fleischkonsum gilt nämlich als entscheidender Mitverursacher der Treibhausgas-Ausstöße. Die landwirtschaftliche Nutztierhaltung trägt mehr zur globalen Erwärmung bei als der gesamte Transportverkehr in der Welt zusammengenommen – Autos, Eisenbahnen, Schiffe, Flugzeuge. Es wäre also günstig, nicht nur öfter mal das Auto, sondern auch den Grillteller stehen zu lassen. Außerdem sei das Bewusstsein für gesunde Ernährung gestiegen.
Und die Tiere? Kein Wort über die Tiere. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass es beim Vegetarismus darum geht, keine Tiere zu töten. Stattdessen erzählt mir der »tip«, dass Mangelerscheinungen bei Vegetariern kaum vorkommen, weil die meisten Vegetarier aufEier, Milchprodukte oder Fisch nicht verzichten möchten. Auf Fisch? Vegetarier essen Fisch? Habe ich da irgendetwas missverstanden? Ich schaue bei Wikipedia und im Brockhaus nach. Von wegen! Das Wort »Vegetarier« kommt aus dem Englischen, ist von ›vegetation‹ (Pflanzenwelt) und ›vegetable‹ (pflanzlich, Gemüse) abgeleitet und meint einen Menschen, der bewusst kein Fleisch und keinen Fisch isst. Die vegetarische Ernährung basiert also auf Pflanzen, wenn auch die meisten Vegetarier trotzdem weiterhin Milchprodukte (Lacto-Vegetarier) oder Eier (Ovo-Vegetarier) konsumieren oder beides (Ovo-Lacto-Vegetarier). Leute, die kein Fleisch, aber noch Fisch essen, nennt man Pescetarier und die befinden sich allenfalls in einem Übergangsstadium zum Vegetarismus. Das heißt, … hoppla, … nein, in anderen Lexika werden sie den Vegetariern im weiteren Sinn zugeordnet und heißen dann Pesco-Vegetarier. Vegetarierverbände grenzen sich allerdings davon ab. Ich auch. So ein Quatsch! Nach dieser Logik wäre ich, da ich gern Grillhähnchen gegessen habe, bisher dann wohl eine Gallo-Vegetarierin gewesen. Jemand, der sich wie Jiminy Grille nur sehr selten Fleisch oder Fisch auf den Teller legt, heißt übrigens Flexiatarier. Ich hatte mich schon darauf gefreut, in diesem Monat moralisch an ihr vorbeizuziehen, aber prompt hat Jiminy sich entschlossen, jetzt ebenfalls Vegetarierin zu werden. Mal sehen, ob sie das durchhält. Jiminy Grille ist nämlich eine begeisterte Anglerin, und wenn im April die Heringsschwärme an den Küsten vorbeiziehen, ist sie normalerweise nicht mehr zu halten, sondern zieht mit Rute und einer natogrünen Angeltasche über der Schulter an die Ostsee, um kleine Fische zu killen.
»Was meinst du, wie weh das tut, wenn man einenHaken im Oberkiefer stecken hat und mit seinem ganzen Körpergewicht daran hängt«, sage ich zu Jiminy. Sie steht am Herd und brät gerade
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