Anständig essen
die Chelsea Boots sind endlich aus England gekommen. Sie sehen extrem gut aus und sind superbequem. Bei der lederfreien Lederjacke gibt es allerdings einen Haken, der mir natürlich wieder erst hinterher aufgefallen ist –ich vermute, dass sie aus Erdöl gemacht wurde. So rette ich die Welt natürlich nicht. Ein ökologisch denkender Mensch kauft wahrscheinlich am besten gar nichts.
Nirgendwo ist es so einfach, vegan essen zu gehen, wie in Berlin. Über 30 vegetarisch/vegane Restaurants, Bars und Imbisse gibt es. Auch bei einem thailändischen Restaurant in Kreuzberg steht draußen dran, welche Gerichte vegan sind. Da waren Jiminy und ich aber schon einmal. Was uns vorgesetzt wurde, schmeckte so fade, dass ich noch nicht einmal Lust habe, über die Pampe zu schreiben. Die vegetarischen Restaurants waren alle recht ordentlich. Herausragend war das Gourmet-Restaurant ›La Mano Verde‹, in das mich Karin Graf, meine Literaturagentin, eingeladen hat. Überbackener Spargel, Spaghetti mit Passe Pierre Algen und ein Schokoladennachtisch, bei dem man sich fragt, was einen in Gottes Namen eigentlich noch davon abhält, für immer Veganerin zu bleiben. Jiminy kennt diesen Tempel noch nicht. Ich würde sie ja gern dorthin einladen, aber da ich so viele Restaurants wie möglich ausprobieren will, führe ich sie stattdessen in eine vegetarische Burger-Bude, die Bio-Ware und mehrere vegane Gerichte anbietet. Uns wird der Lappland-Cheeseburger empfohlen. Aufgrund unserer enttäuschenden Erfahrungen mit veganem Käse entscheide ich mich sofort für Currywurst mit Pommes frites. Jiminy nimmt den Lappland-Burger.
»Aber ohne Käse. Veganen Käse finde ich schrecklich.«
»Wieso das denn«, ruft der junge Mann vom Grill, »unser veganer Käse ist richtig lecker. Was habt ihr denn für einen probiert? Ich zeig euch mal, welchen wir nehmen.«
Er holt eine Packung aus dem Kühlschrank und legtsie vor uns auf den Tresen. »Hier, der wird garantiert auch euch schmecken.«
Jiminy und ich sehen uns an. Es ist genau der schreckliche Käse, den ich bereits nach einem einzigen Bissen komplett in der Mülltonne versenkt habe. Aber der junge Mann strahlt so begeistert, dass wir es nicht über’s Herz bringen, ihm das zu sagen.
»Vielleicht schmeckt er ja, wenn er geschmolzen ist«, sagt Jiminy. Ich schlage vor, dass wir beide Bestellungen gerecht teilen, um das persönliche Risiko zu minimieren.
»Der Typ hat wahrscheinlich seit zwanzig Jahren keinen richtigen Käse mehr gegessen«, flüstert Jiminy mir beim Rausgehen zu. »Der weiß überhaupt nicht mehr, wie Käse eigentlich schmeckt.«
Wir setzen uns an einen der Holztische draußen und warten auf unsere Bestellung.
»Wusstest du, dass in Uruguay der ganze Regenwald abgeholzt wird, um Soja-Felder anzulegen?«, sagt Jiminy. »Hat mir gestern jemand aus dem Entwicklungshilfeminsterium erzählt. Stell dir vor, jetzt essen wir die ganzen Tofu-Sachen, um die Tiere und das Klima zu schonen, und nun stellt sich heraus, dass wir damit noch mehr Schaden anrichten …«
»Nein«, sage ich, »tun wir nicht.«
Ich kann Jiminy beruhigen, dass die Felder nicht ausschließlich für ihren Tofu-Hamburger in den Regenwald geschlagen werden, sondern dass über 80 Prozent der weltweiten Sojaernte und mindestens ein Drittel, wenn nicht sogar die Hälfte des angebauten Getreides als Futter für Schlachttiere und Milchkühe benutzt wird. Der größte Teil der Kalorien geht dabei über den Stoffwechsel der Tiere verloren – beim Rind sollen das laut dem Verein »die Tierfreunde« über 90 Prozent sein. In einSchwein muss man 7000 Kalorien Soja hineinschütten, um 1000 Kalorien Schweinefleisch zu produzieren.
»Wenn du jetzt also statt Tofu wieder Frikadellen essen willst, dann wird deinetwegen erst recht Soja angebaut, nämlich mindestens siebenmal so viel und sieben mal so viel Dschungel gerodet.«
»Echt?«
Jiminy ist sichtlich erleichtert.
»Ja echt«, sag ich. »Vegan zu leben heißt ja nicht, dass man überhaupt keinen Schaden anrichtet, sondern bloß, dass man ihn soweit wie möglich und praktikabel vermeidet.«
Auch beim Getreide- und Gemüseanbau werden Tiere getötet. Etwa 90 000 Rehkitze geraten jährlich in die Mähdrescher, und selbst in der ökologischen Landwirtschaft werden bestimmte Gifte zugelassen.
Kartoffel oder Kartoffelkäfer, das ist hier die Frage.
»Aber wenn du Fleisch isst, müssen siebenmal so viele Rehkitze in Mähdreschern sterben.«
Unsere Bestellung ist fertig.
Weitere Kostenlose Bücher