Anständig essen
den Fertigsaucen dann doch immer etwas Milchpulver und ein klitzekleines bisschen Ei – wohl um den Verbraucher zu beruhigen. Schade, schade – den Unterschied würde man bestimmt nicht merken, wenn man die drei Prozent Ei auch noch weggelassen hätte. Man sieht also, dass die großen Firmen in kürzester Zeit hervorragende vegane Soßen und Fertiggerichte entwickeln könnten – hätten sie nur ein Interesse daran. Als ich wieder einmal herumjammere, dass Spargel ohne Sauce hollandaise wie Mercedes ohne Stern, bzw. wie Sex ohne Liebe sei, fährt Jiminy mir über den Mund.
»Na und? Mercedes ohne Stern ist doch völlig in Ordnung. Was willst du mit dem Stern? Und gegen Sex ohne Liebe ist doch auch überhaupt nichts einzuwenden.«
An Margarine habe ich mich übrigens inzwischen gewöhnt. Vielleicht liegt es aber auch bloß daran, dass ich endlich die richtige Marke gefunden habe. Jedenfalls scheint mir ein Leben ohne Butter plötzlich denkbar. Manchmal scheint mir sogar ein komplett veganes Leben denkbar. Eine gute neue Idee macht anscheinend immer drei Phasen durch: Zuerst wird sie verlacht, dann wird sie bekämpft und dann finden es alle ganz selbstverständlich und können sich gar nicht mehr daran erinnern, dass es einmal anders gewesen sein soll. Wäre doch gar nicht schlecht, endlich mal zur Avantgarde zu gehören. Das Gerücht, eine vegane Ernährung würde die Gesundheit gefährden, weil sie dem Körper entscheidende Proteine, Vitamine und Eisen vorenthalte, hält sich natürlich deswegen so hartnäckig, weil sich die meisten klammheimlich wünschen, dass eine vegane Ernährung gar nicht möglich sei. Bloß nicht zugeben, dass man die ganze Zeit die Wahl hat zwischen Grausamkeit und ökologischer Zerstörung auf der einen Seite und der Möglichkeit, einfach kein Fleisch, keine Milchprodukte und keine Eier mehr zu essen. Dabei gibt es sogar einen veganen Bodybuilding-Weltmeister. Eiweiß und Eisen finden sich nämlich auch in Getreide und Hülsenfrüchten, und da Veganer viel Obst und Gemüse essen, nehmen sie auch viel Vitamin C zu sich, was die Eisenaufnahme sogar noch fördert. Im Grunde geht es nur um ein einziges Vitamin: B12. Es ist wichtig für die Blutbildung, überhaupt für jede Zellerneuerung und die Funktion der Nervenzellen. Vitamin B12 kann nur von Mikroorganismen wie Hefepilzen oder Bakterien gebildet werden, die im Verdauungstrakt von Tieren wohnen oder auf der Oberfläche von ungewaschenem Obst und Gemüse vorkommen. Auf pflanzlichen Nahrungsmitteln findet man sie nicht in ausreichender Menge, dafür aber in Milch (besonders Käse), Eiern und Fleisch (besonders Leber). Ganz sicher kann man allerdings auch da nicht sein. Durch Antibiotika, wie sie in der Massentierhaltung häufig verabreicht werden, kann die Darmflora eines Tieres so stark gestört werden, dass sich dort kein Vitamin B12 mehr bildet und dann auch das Fleisch dieses Tieres praktisch Vitamin-B12-frei bleibt. Kath Clements, die Autorin von »Vegan«, empfiehlt eine Dosis von 2,0 Mikrogramm täglich, die in Form vonfermentierter Nahrung wie Tempeh, Miso und Shoyu (was immer das sein mag ) oder als Vitaminpräparat genommen werden kann. Dazu habe ich aber keine Lust. Im Internet stand nämlich irgendwo, dass der menschliche Körper nur eine verschwindend geringe Menge Vitamin B12 braucht, die er auch noch jahrelang speichern kann. Eine Kontrolle der Blutwerte alle zwei bis drei Jahre würde völlig genügen. Ich lasse es einfach mal drauf ankommen. Sechs Monate ohne B12 werde ich schon überleben.
22. Juli. Sintflutartige Regenfälle in China lösen Überschwemmungen und Schlammlawinen aus und kosten 700 Menschen das Leben.
Jiminy und ich gehen essen. Ich trage meine todschicke, dreifarbige, völlig lederfreie Motorradjacke, die ich für 9,95 Euro im Landhandel erstanden habe. Früher hieß es ja immer, ein rücksichtsvoller, ökologisch denkender Mensch müsse möglichst naturnahe Produkte kaufen – wahnsinnig teure, kratzige Shetlandpullover und Hausschuhe aus handgewirktem Filz. Jetzt bin ich viel strenger als alle Müslifresser zusammen, und darf trotzdem in einer Kunststoffwelt schwelgen und billige Stiefel »aus herrlich weichem Velourlederimitat« kaufen. Wahrscheinlich ist es der schlechten Wirtschaftslage zu verdanken, dass es davon ein viel größeres Sortiment gibt, als ich mir je habe träumen lassen. Ob die jetzt auch alle mit veganem Kleber zusammengeleimt wurden, habe ich allerdings noch nicht recherchiert. Auch
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