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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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vor meinem Gesicht spüre ich die Wärme der Hühner, die wir beim Eintreten kurz im Lichtkegel von Peters Stirnlampe sehen konnten, atme ihren Geruch und höre das empörte Glucksen. Erst als wir alle nacheinander eingetreten sind, uns die Wand entlang verteilt haben und Peter die Tür geschlossen hat, knipsen auch wir unsere Stirnlampen an. Die zerrissenen Handschuhe hängen lappig an meinen Fingern herunter. Anscheinend habe ich wohl versucht, den Zeigefinger in die Hülle für den Daumen zu zwängen. Vor mir türmen sich Stahlregale wie in einem Obi-Markt. Nur, dass der Durchgang enger ist, und dass bloß ein einziges, dicht gepacktes Produkt im Angebot ist: braunes Huhn. Als die Kamerafrau die Regale entlangleuchtet, wird mir leicht schwindlig. Es sieht aus, als hätte man zwei Spiegel gegeneinander gehalten, ein Huhn dazwischen gestellt, und nun verliert sich die Reihe des gespiegelten und widergespiegelten Huhns in einer unendlichen Flucht. Peter bedauert, dass er keinen schlimmeren Stall mit schrecklicheren Zuständen ausfindig gemacht habe. Dies sei eine für Hühnerhaltung fast vorbildlich geführte Halle. Außerdem ist es nicht Käfig-, sondern Bodenhaltung, also lange nicht so bedrückend. Halle und Hühner sehen auf den ersten Blick auch ganz ordentlich aus. Es riecht noch nicht einmal besonders schlimm, nur etwas muffig. Der Auslauf befindet sich unter den Regalen, das wirkt auf einen Menschen klaustrophobisch, aber ein Huhn drückt sich ja auch im Freien gern unter niedrigen Büschen herum. Der Boden ist dünn mit Sand bestreut, sodass die Hühner scharren können, wenngleich es natürlich auch nichts gibt, wonach sie scharren könnten. Weder tote Hühner noch besonders viel Kot liegen hier herum. Geradezu ein Vorzeigestall. Aber als meine Augen sichetwas an die Dunkelheit gewöhnt haben, entdecke ich plötzlich ein surreales Geschöpf, das auf dem Boden gesessen hat und nun auf mich zuläuft. Es ist natürlich ein Huhn, hier gibt es nur Hühner, aber es sieht aus wie etwas, das man als Kind aus Kastanien und Streichhölzern gebastelt hat. Ein normaler Hühnerkopf balanciert auf einem Strich von einem Hals, der wiederum in einem völlig zerrupften Körper endet. Der Hals ist völlig nackt, wie bei einem Geier. Auch auf dem Rücken fehlen fast alle Federn, sodass man von oben ein aus dem Topf gesprungenes Suppenhuhn zu sehen meint. Als ich mir nun auch die anderen Hühner näher anschaue, stellt sich heraus, dass mindestens jedes zweite Huhn schlimm (völlig zerrupft und ohne Deckfedern) bis katastrophal schlimm (Federn großflächig bis auf die Haut herunter ausgerissen, kahler Hals) aussieht. Da sie über uns und so eng nebeneinander sitzen, konnte man die kahlen Stellen an den Seiten und auf dem Rücken nicht gleich sehen. Ein Huhn mit völlig intaktem Federkleid gibt es wahrscheinlich gar nicht. Nun ist es ja das Prinzip der erlaubten Massentierhaltung, so viele Tiere wie möglich in eine Halle zu stopfen. Aber dabei sollte doch auch der Begriff »wie möglich« berücksichtigt werden. Wenn Hühner sich gegenseitig die Federn ausreißen, bis sie aussehen, als wären sie in einen Rasenmäher geraten, dann hat man definitiv zu viele zusammengestopft. Man müsste also wieder zwei-, drei- oder viertausend Hühner aus der Halle entfernen, bis sie sich nicht mehr gegenseitig nackt rupfen. Stattdessen hat man lieber versucht, die Hühner an die ungeeigneten Haltungsbedingungen anzupassen. Peter macht mich auf die Schnäbel aufmerksam. Sie sind abgeschnitten. Eine übliche Vorgehensweise. Mit einem heißen Draht oder mit Laser wird Hühnern die Schnabelspitzeabgetrennt, damit sie sich aus Aggressivität oder lauter Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten nicht gegenseitig an den Federn zerren. Die Prozedur muss wahnsinnig schmerzhaft sein. Haufenweise Nerven enden in der Schnabelspitze. Wenn man Zehntausenden Tieren den Schnabel kürzt, geht auch schon mal etwas schief. Bei manchen fehlt nicht nur die Spitze, sondern gleich der halbe Schnabel. Bei einigen Tieren ist so viel weg geschnitten, dass sie gar nicht mehr wie Vögel aussehen, sondern wie kleine Dinosaurier mit hornigen Mäulern. Einigen Hühnern fehlt nur die Hälfte des oberen Schnabels. Picken können sie so natürlich nicht mehr, und falls die Nahrung hier nicht breiartig ist, sind sie vielleicht zum Verhungern verurteilt. Warum aber sehen die Hühner trotz amputierter Schnabelspitzen immer noch so zerfleddert aus? Mir fallen nur zwei

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