Anthologie - Das Lustbett
damit lag er ja auch nicht gerade schief.
Leider holte ich Mette schon auf der Treppe ein, und folglich betraten wir das Podium gleichzeitig, Köpfe wurden zusammengesteckt, es wurde gezischt und getuschelt, von den Pauken links oben bis zu den Bässen rechts unten. Von den Ersten Geigen ganz zu schweigen. Das lebhafte Getuschel ging rasch in ein peinliches Schweigen über, und unter diesem Schweigen suchten wir rasch unsere jeweiligen Plätze an Pult und Flügel auf. Ich massierte meine schmerzenden Handgelenke; von Jarakoc blieb taktvoll noch ein Weilchen draußen. Ich schlug ein A an und einen d-Moll-Dreiklang und erhielt Antwort von einer Oboe. Dann begann das Stimmen der Instrumente, aber das geschah diesmal viel leiser als sonst, und nach einer halben Minute war auch das zu Ende. Ich begann beim Warten auf bessere Zeiten mit dem Herunterleiern von Tonleitern. Meine Hände fühlten sich an, als hätte ich ein Jahr lang auf einer Galeere gerudert. Oktavetüden statt dessen? Das ging besser, denn jetzt kam der Kreislauf wieder in Gang, und schließlich wagte ich mich an den Eröffnungsdreiklang des letzten Satzes heran, den ich ein paarmal schnell wiederholte. Allmählich ging es besser, und mein Selbstbewußtsein kehrte zurück. Von Jarakoc kam mit einem süßsauren Lächeln herein, betrat das Dirigentenpult, und alle verstummten. Eine leicht ironische Verbeugung in meine Richtung. Ich biß die Zähne zusammen. Jetzt konnte es von mir aus losgehen.
Allegro assai – all right, dann soll er’s haben, wie er will, mit Zins und Zinseszins. Ganz plötzlich von heiligem Zorn erfüllt (vor der Raserei der Nordmänner bewahre uns, gerechter Gott), riß ich die vierzehn Eröffnungstakte in einem Tempo, mit einer Präzision und einem Schwung herunter, die ich früher nicht beherrscht hatte. Von Jarakoc blickte erstaunt auf und begann konzentriert mitzuzählen, um die Orchestereinsätze nicht zu verpatzen. Im spiegelglatten Lack des Flügels sah ich, daß der Konzertmeister es genauso machte, der Führer der Cellostimme übrigens auch. Danach hatte ich keine Zeit mehr, mir die anderen Musiker anzusehen. Ich habe nie so konzentriert gespielt, weder früher noch später. Mein bei meinen Mitspielern so arg mitgenommener Ruf machte mir bewußt, daß meine Karriere an einem seidenen Faden hing, genauer: an diesem letzten Satz, und ich dachte: denen werde ich’s zeigen. Ich werde diesen Mozart sospielen, daß alle diese Musikbeamten sich vor Überraschung in die Hosen scheißen (schade, daß du nicht hier sein kannst, kleiner Wolfgang Amadeus, dies hätte dir gefallen), daß von Jarakoc der Frack mitten im Konzert aufplatzt – wenn wir überhaupt so weit kommen – , und der gute alte Casadesus kriegt den höchsten Grad der Ehrenlegion, wenn er ihn nicht schon hat.
Die Halbtöne saßen so bombenfest wie die Nägel im Sarg eines längst toten Mannes, die Viertel marschierten stolz wie aufgereihte steife Schwänze, und die Achtel flossen sanft wie die Wellen in Harriets wunderbarer Votze. Hier sollt ihr einen Mo-zart zu hören kriegen, der allen alten Schachteln im Auditorium einen abgehen läßt, ich werde euch das lebenskräftige Sperma der Beethoven-Kadenz ins Gesicht spritzen; dies ist keine Musik für Hermaphroditen und Geschlechtslose und andere Halbfertigprodukte, dies ist Musik für richtige, vollwertige Menschen, für Menschen, die leben und lieben und lachen und weinen und vögeln, wann es ihnen paßt, die lachen, wann immer sie können, die totschlagen, wenn man sie dazu zwingt, und die Leben retten, wenn es notwendig ist.
Die kleine, kühle, blonde Monique kapiert das nicht; ihre Welt besteht aus Liszt und Skrjabin und anderen brillanten Verrückten, die für Klaviermatadore mit Blech in den Fingerspitzen und Kuhglocken in den Ohren ihre Noten geschrieben haben. Möchte gern mal wissen, ob Liszt Cosima Wagner einmal unter den Rock gegriffen hat, sie dürfte geheult haben, jetzt gehst du aber entschieden zu weit, mein lieber Franz. Richard selbst hat es vielleicht gemacht, aber der war ja wiederum auf seine Art ein bißchen bescheuert, und das ist vielleicht die Voraussetzung. Hier ist eine Kadenz speziell für euch, für euch alle, die ihr den Vorzug gehabt habt, keine Eulen nach Athen tragen zu müssen, und die ihr folglich so klug und weise seid, die Segnungen des Wahnsinns einzusehen. Und hier hast du Wechseloktaven, die wenigstens einmal innerhalb des Ganzen dynamisch wirken, du da oben auf dem
Weitere Kostenlose Bücher