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Anthropofiction

Anthropofiction

Titel: Anthropofiction Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon E.Stover und Harry Harrison
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rückwärts. Der Professor zeigte den Stein vor und fragte: »Wissen Sie, was das ist, Herr Präsident? Wahrscheinlich nicht, deshalb will ich es Ihnen sagen. Es ist ein Acheuléen-Faustkeil aus Feuerstein – etwa dreihunderttausend Jahre alt oder noch älter. Der Neanderthaler hat ihn gemacht, und ein Freund von mir, ein Anthropologe, hat ihn mir vor ungefähr einem Jahr geschenkt. Ich konnte ihn nicht aus meinem Gedächtnis streichen. Soll ich Ihnen sagen, warum?«
    Oscar Felzen und Miss Kalish, beide neugierig gemacht, nickten, aber der Professor starrte auf Grosvenor.
    Mit sanfter Stimme fuhr er fort: »Es ist eine primiti ve, unattraktive Waffe. Verglichen mit einer Atombombe ist das Ding mitleiderregend, und sicher hätte es keine Chance gegen ein Gewehr. In der Tat, es könnte nicht einmal mit den Pfeilen unserer Cro-Magnon-Vorfahren konkurrieren. Aber wenn man es unter einem anderen Aspekt sieht, ist es eine großartige Sache!«
    Er hielt den Stein mit beiden Händen hoch und drehte ihn langsam. »Ich rede nicht von der Herstellungstechnik, obwohl ich weiß, daß sie von hervorragender Handwerkskunst zeugt. Vergessen Sie dieses Exemplar und denken Sie zurück an das erste, das je gemacht worden ist. Es mußte ein erstes gegeben haben, verstehen Sie. Und da war ein Mensch, der es gemacht hat. Vor ihm, die ganze Zeitspanne zurück bis zum Anfang, haben Sie eine ununterbrochene Linie von Kreaturen, die ihre Pseudopodien, ihre Zähne oder Klauen gebrauchen konnten. Affenähnliche Tiere, die einen abgestorbenen Zweig schwenken und einen Stein oder eine Kokosnuß werfen konnten. Spätere Affen könnten sogar einen bestimmten Stein oder Zweig mit sich herumgeschleppt haben.
    Aber dieser ... dieser Mensch wählte einen Klumpen Feuerstein aus und bearbeitete ihn, bis er etwas hatte, das bequem in seine Hand paßte, wenn er es an einem Ende festhielt. Das andere Ende formte er zu einer scharfen Spitze, die ihm nützlich war, um damit einen Bisonschädel einzuschlagen.«
    Er schwenkte den Faustkeil vor seinen Zuhörern. »Ich sagte, daß es ihm nützlich war. Was er hergestellt hatte, war ein Werkzeug; das erste, das je auf diesem Planeten existiert hat! Nach ihm finden sich Hersteller größerer und besserer, verschiedenartigerer und komplexerer Werkzeuge, aber er hat das erste gemacht! Jeder Erfinder nach ihm fügte der Liste bloß etwas hinzu, arbeitete aber mit Werkzeugen, die schon erfunden waren. Wichtiger noch: sie arbeiteten mit dem Wissen, daß Werkzeuge existieren. Aber der Mensch, der sich als erster eine Vorstellung von einem Werkzeug als solchem bildete, der das erste schuf – was für einen Geist muß er gehabt haben! Ich frage mich, wie viele überragende Menschen, die nach ihm gelebt haben, soviel Genie gehabt hätten? Da Vinci vielleicht … möglicherweise Einstein? Sicher nicht der Mensch, der lediglich das erste Rad konstruiert hat! Und Sie nennen einen solchen Menschen Untermensch?« In plötzlicher Gefühlsaufwallung schnaufte Professor Putnam und zuckte die Schultern.
    Präsident Grosvenor räusperte sich verlegen. »Eine sehr interessante Theorie, Professor, obgleich vermutlich ein wenig phantastisch. Diese ganze Diskussion hat mit der gegenwärtigen Angelegenheit nichts zu tun, aber da wir so weit mitgerissen worden sind, möchte ich auf eine offenkundige Schwäche in Ihrer Argumentation hinweisen. Ich habe historische und politische Wissenschaften studiert, nicht Laboratoriumswissenschaften –, und was mir auffallt, sind nicht die mechanischen Fähigkeiten des Neanderthalers, wie groß auch immer sie gewesen oder auch nicht gewesen sein mö gen. Sie selbst haben hervorgehoben, daß er den Pfei len des Cro-Magnon unterlegen war. Rein sachlich gese hen war er also minderwertig. Er konnte die Feuerprobe des Überlebens nicht bestehen und wurde von einem überlegeneren Menschen ersetzt …«
    »Überlegen! Sicher! Aber wie überlegen?« Putnam stieß die Worte ärgerlich hervor. »Überlegen als Wilder – als Mörder – als Tier! Sie sagten, ich sei ein Phantast. jetzt will ich wirklich phantasieren! Denken Sie sich den Neanderthaler; die erste vernunftbegabte, schöpferische Kreatur auf der Erde – das war er – mit seinen Werkzeugen, seiner Kunst, seiner Religion und Kultur. Nehmen Sie an, er war ein friedliches, im Ansatz zivilisiertes Geschöpf, das mühsam die ersten formlosen Anfange der Zivilisation erarbeitete. Dann kommen unsere Ahnen daher – edle Wilde, vollkom mene Wilde! Sie

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