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Anti-Eis

Anti-Eis

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Tablett. Holden rieb
sich die Hände und organisierte uns beiden ein Glas. Er kippte
das erste Glas in einem Zug hinunter und griff dann nach einem
zweiten; ich hingegen ließ es gemächlicher angehen und
genoß den kühlen, feinen Champagner. »Welch ein
Genuß«, sagte Holden und unterdrückte hinter
vorgehaltener Hand einen Rülpser. »Ich fühle mich wie
Odysseus, der aus der Schmiede der Zyklopen entkommen ist.«
    Ich hielt nach Françoise und ihrem Gefolge Ausschau; aber
sie war bereits in der Menge untergetaucht. Ich spürte einen
Stich im Herzen.
    Holden schlug mir väterlich auf die Schulter. »Nehmt es
nicht so schwer, Ned«, tröstete er mich. »Wir
haben…« – er konsultierte seine Taschenuhr –
»…noch knapp dreißig Minuten bis zum Stapellauf. Und
kippen uns hier am edelsten Ort des Schiffes Gratis-Champagner hinter
die Binde! Schaut Euch nur mal um. Nun, es gibt Leute, die sagen,
dieser Salon im italienischen Stil sei ein Fehlgriff für ein
Schiff – selbst für ein landgestütztes Schiff. Und wie
ist Eure Meinung?«
    Mit dem Glas in der Hand flanierten wir durch den Großen
Salon. In der Tat verströmte der Ort italienisches Flair. Die
Wände waren durch grüne Pilaster in Paneele aufgeteilt
worden; und diese Paneele waren mit Arabesken verziert, welche die
Geschichte des Schiffes darstellten sowie maritime Szenen und –
ohne jeden Zusammenhang – spielende Kinder zeigten. Die Decke
wurde von rot, blau und goldfarben gestrichenen Trägern
abgestützt; die Flächen zwischen den Streben waren
goldfarben und verliehen der Decke ein harmonisches und
gefälliges Aussehen.
    Zwei verspiegelte achteckige Pfeiler strebten vom Boden zur Decke
des Salons hinauf.
    Auch die Luftschächte an den Wänden des Salons waren
verspiegelt. Portieren aus schwerer karmesinroter Seide hingen
über den Türöffnungen, während mit Utrechter Samt
bezogene Sofas, Büffets aus mit Schnitzereien verziertem
Walnußholz und lederbespannte Tische auf einem kastanienbraunen
Teppich verteilt waren. Kronleuchter erstrahlten in vollem Glanz,
obwohl es noch nicht einmal Mittag war.
    Holden beugte sich zu mir herüber. »Acetylen-Lampen.
Ursprünglich waren elektrische Lampen vorgesehen, aber
dafür reichte das Geld nicht mehr.«
    »Ihr seid ein böser Zyniker, alter Mann«, sagte
ich. »Der Effekt ist sehr augenfreundlich. Und was die
Vorwürfe der Dekadenz betrifft, so würde ich einmal diese
Träger dort oben betrachten; sie mögen wohl verziert sein,
aber ihre Tragfähigkeit ist dennoch ersichtlich.«
    Nachdem wir noch ein paar Gläschen Champagner genossen
hatten, nahmen wir Kurs auf einen der achteckigen Pfeiler. Jetzt sah
ich, daß seine Breitseiten verspiegelt waren, um sie nicht so
wuchtig erscheinen zu lassen, während die Schmalseiten mit
Arabesken verziert waren, die maritime Motive zeigten. »Und das
hier«, sagte ich und wies mit dem Champagnerglas auf den
Pfeiler, »ist zweifellos ein konstruktives Element des Schiffes,
das kaschiert wurde durch die Phantasie des…«
    »Mehr als bloß ein ›konstruktives Element‹,
mein Gott«, knurrte da eine Stimme hinter mir. »Das sind
die vom Kesselraum nach oben verlaufenden Schornsteine, Bursche! Seid
Ihr denn noch nie zur See gefahren?«
    Ich zuckte heftig zusammen und verschüttete dabei Champagner
auf das Oberleder meiner Schuhe. Die Tröpfchen zischten traurig.
Ich wandte mich um.
    Eine eindrucksvolle Gestalt türmte sich vor mir auf; sie war
über sechs Fuß groß, auch ohne den Zylinderhut, und
in einen zerknitterten schwarzen Morgenmantel gewandet, der inmitten
der modisch gekleideten Gäste völlig aus dem Rahmen fiel.
Augen so blau wie Anti-Eis schauten über eine Nase aus Platin
hinweg.
    »Ach du lieber…«, stammelte ich. »Ich
meine… äh… Sir Josiah. Ihr erinnert Euch doch sicher
noch an meinen Begleiter, Mr. Holden…«
    »Ich erinnere mich ja kaum noch an Euch, Bursche. Wie
war doch gleich der Name? – Wickers? – aber wenigstens seid
Ihr ein bekanntes Gesicht in diesem närrischen Haufen.
Andererseits bezweifle ich, daß ich Euch angesprochen
hätte, wenn mir Eure schwachsinnigen Kommentare zu dem Schiff
schon früher zu Ohren gekommen wären…«
    »Nun, ich bin erfreut…«
    »Habt Ihr den Mann…?« brüllte da der
große Ingenieur los und ignorierte mich völlig. Aus dem
Augenwinkel erblickte ich einen schlanken, gebückten Kerl von
ungefähr sechzig Jahren, der mich aus Sir Josiahs Schatten
nervös ansah und dessen silbriges Haar im Licht des

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