Anti-Eis
Lüsters
leuchtete. »Pocket, komm her«, befahl Traveller. Ich
schüttelte die Hand des Mannes – sie erwies sich als
trocken und erstaunlich kräftig.
»Nun, das ist ja eine schöne Sache«, grummelte
Traveller und musterte ihn düster.
Holden sah auf die Uhr und sagte: »Nur noch zehn Minuten bis
zum Stapellauf, Sir.«
»Kann diesen verdammten Haufen nicht ausstehen«,
schnaubte Traveller.
»Wenn ich ihr Geld nicht brauchte, würde ich sie alle
über Bord werfen.« Er beäugte mich seltsam. »Und
jetzt muß auch jede Minute das Orchester der verdammten Royal
Marines einsetzen, wißt Ihr.«
»Wirklich?« stammelte ich. »Mögt…
mögt Ihr Musik, Sir?«
Er ignorierte das ebenfalls. »Komm mit, Pocket«, sagte
er nur. »Ich schätze, daß wir unseren Auftritt
für die Aktionäre gehabt haben.« Er drehte sich um und
entfernte sich ein paar Schritte, wobei die fleckigen und
zerknitterten Rockschöße hinter ihm herflappten. Dann
schaute er sich um. »Nun?« fragte er mit dröhnender
Stimme. »Wollt Ihr mich begleiten?«
»Äh… wohin denn, Sir?«
»Zur Phaeton natürlich. Sie befindet sich auf dem
Oberdeck. Viel bessere Sicht auf die Royal Marines von dort oben,
falls Ihr Gefallen an so etwas findet. Und vielleicht möchtet
Ihr auch einmal ihre Konstruktion betrachten.« Er fixierte
Holden mit einem forschenden Blick. »Und ich wage zu behaupten,
daß ich dort einen stärkeren Stoff für Euren
desolaten Kompagnon auftreiben kann; er sieht nämlich so aus,
als ob er ihn nötig hätte.«
Ich trat den Rückzug an und wollte schon eine gestotterte
Entschuldigung vorbringen, als Holden mir einen Tritt versetzte
– und zwar einen recht heftigen – und zischte: »Um
Gottes willen, nehmt sein Angebot an. Seid Ihr denn gar nicht
neugierig? Travellers Luftschiff ist doch das Wunder dieser
Epoche.«
»Aber Françoise…«
Holden knirschte mit den Zähnen. »Françoise wird
auch noch da sein, wenn Ihr zurückkommt. Macht schon, Ned; wo
bleibt nur Euer Mut?«
Und so absolvierten Holden und ich ein Spießrutenlaufen an
neugierigen Blicken vorbei und eilten Traveller nach.
4
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Phaeton
Mit den Champagnergläsern in der Hand begaben wir uns
über eine Marmortreppe auf das Promenadendeck der Prince
Albert und tauchten in gleißendes Sonnenlicht ein.
Am oberen Treppenabsatz drehte ich mich um und überflog die
im Salon parlierende Menge. Ich erkannte Bourne, den jungen
Franzosen, an seinem grotesken Stutzerkostüm – er schaute
mit einem Blick zu uns hoch, den ich als verschlagen interpretierte
–, aber es gelang mir nicht, Françoise auszumachen; und
mit einem stechenden Gefühl des Bedauerns wandte ich mich um und
folgte dem Ingenieur.
Trotz meiner Schwärmereien hatten Holdens Bemerkungen mich
nachdenklich gestimmt. Was war es denn, das ich, abgesehen von ihrem
bemerkenswert guten Aussehen und ihrer Figur, an Françoise so
reizvoll fand? – Schließlich wußte ich ja so gut wie
nichts von ihr. Mit ihrem außergewöhnlich umfangreichen
Wissen, ganz zu schweigen von ihrer spitzen Zunge, konnte man sie
kaum mit den ziemlich strohköpfigen jungen Damen vergleichen,
denen den Hof zu machen mir bis dato vergönnt gewesen war.
Man stelle sich vor, Francis Ned Vicars fühlte sich zu einer
Frau mit Verstand hingezogen!
Und dann war da noch diese mysteriöse Aura, auf die Holden so
unverblümt rekurriert hatte. Warum nur sollte eine Frau,
ungeachtet ihrer Intelligenz, überhaupt das Verlangen haben,
sich mit den Feinheiten von Pleuelstangen und Dampfmänteln zu
befassen? Und wo hatte sie dieses Wissen überhaupt erworben?
Ach, Françoise! Ich spazierte über das Promenadendeck
und vergaß all die Wunder um mich herum. Vielleicht war es ja
gerade dieses Mysteriöse, das mich an ihr so faszinierte: Die
Aura des Unbestimmbaren, des Unergründlichen, des
Ungezähmten.
Ich fragte mich, ob ich wirklich dabei war, mich in sie zu
verlieben.
Bevor ich Françoise kennenlernte, hätte ich an Eides
Statt geschworen, daß es Liebe auf den ersten Blick nicht geben
könne. Wenn noch kein Gedankenaustausch stattgefunden hat,
beruht die Anziehung nämlich auf rein körperlicher
Basis.
Das war sicher richtig.
Und doch…
Und doch war ich dem verdammten Mädchen bereits durch halb
Europa gefolgt!
Ich betrachtete mich nun einmal mit Françoises Augen: Ein
ziemlich substanzloser und seichter junger Mann; einer von Tausenden,
die die zivilisierten Kapitalen bevölkerten – obwohl ich
mir durchaus selbst konzedierte,
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