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Anti-Eis

Anti-Eis

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von der behaglichen Wärme der Kabine aus. Ich
zögerte ein paar Augenblicke lang und drückte das Modell
der Eastern an den Lederanzug; dann nahm ich meinen ganzen Mut
zusammen, packte das unter mir in der Schleuse angebrachte Rad und
drehte es resolut.
    Nach drei oder vier Umdrehungen begann die Luft auszuströmen,
und ich hörte, wie die Atmosphäre mit einem letzten Seufzer
in das Vakuum der Mondlandschaft entwich. Die Gelenke versteiften
sich, als der Anzug sich bis an die Grenzen seiner Flexibilität
aufblähte.
    Dann schwang das Schott schließlich ganz auf, und ich
schaute auf einen Quadratyard Mondboden hinab.
    Dieser Boden, etwa zehn Fuß unter mir, wirkte ziemlich eben
und war dennoch mit scharfkantigem Geröll übersät, das
lange Schatten im Sonnenlicht warf; und diese Schatten waren
pechschwarz. Diese grausame Schärfe und die durch das Fehlen
einer Atmosphäre bedingte völlige Stille führten mir
sofort meine unirdische Situation vor Augen, und ich verbrachte
einige Minuten mit der bloßen Inspektion dieses
Bodenausschnittes, während mir das Blut in den Ohren
rauschte.
    Schließlich fand ich die Kraft, weiterzumachen. Ich zog eine
Strickleiter aus dem Luftschrank und rollte sie aus. Dann schwang ich
die Beine aus der Luke und begab mich an den Abstieg, wobei ich nach
ein paar Sprossen anhielt, um die Great Eastern aus dem Schiff
zu holen. Als ich den Kopf aus der Schleuse zog, wurde der Helm mit
blendendem Sonnenlicht geflutet, das die Augen überforderte; im
folgenden achtete ich darauf, nicht direkt in das grelle Licht der
Sonne zu schauen, die gefährlich dicht über dem Horizont
stand.
    Auf der letzten Sprosse über dem Boden legte ich eine Pause
ein und ließ einen Fuß über der Mondoberfläche
schweben. Stolz und das Gefühl, etwas Außerordentliches
geleistet zu haben, ergriffen von mir Besitz. Daß ich es
gewesen sein sollte, dem die Ehre zuteil wurde, als erster Mensch
über die Oberfläche einer anderen Welt zu spazieren! Ich
ließ die seltsame Kausalkette Revue passieren, die mich zu
diesem Ort geführt hatte, und fragte mich kurz, wie die Dinge
wohl stehen würden, wenn dieses größte Ereignis
überhaupt, die Entdeckung das Anti-Eis, nicht eingetreten
wäre. Hätten die Menschen trotzdem zum Mond fliegen
können? Sicher hätte man eine Möglichkeit gefunden,
eine bislang undenkbare Rakete zu entwickeln; obwohl es wohl noch
viele Jahre gedauert hätte – vielleicht bis in das
zwanzigste Jahrhundert hinein –, bevor ein so weiter Flug
hätte erfolgreich durchgeführt werden können. Wie in
allen industriellen und technologischen Bereichen, wäre
Großbritannien auch in dieser Parallelhistorie führend
gewesen, und so hätte ein anderer Brite – vielleicht besser
gerüstet als ich – auf dem Fuß einer anderen Leiter
gestanden.
    Für einen Moment schwelgte ich im Stolz und wünschte,
daß die liebreizende Françoise die Augen von den
Schlachtfeldern Frankreichs wenden und durch das All sehen
könnte, um meiner in diesem Augenblick himmlischen Ruhmes
ansichtig zu werden. Aber dieser Gedanke hielt indessen keine Sekunde
vor der Betrachtung der außergewöhnlichen historischen
Bedeutung meiner Situation stand. Den Fuß auf den Boden einer
anderen Welt zu setzen war sicherlich die signifikanteste Leistung in
der Geschichte der Menschheit seit dem Bau der Arche Noah –
oder, wenn man Sir Charles Darwin Glauben schenken will, seit unsere
Affenvorfahren davon abließen, sich mit Bananen zu bewerfen und
von den Bäumen hinabstiegen, um auf zwei Beinen durch die
Savannen zu streifen. Also sprach ich, während ich den
Lederschuh in den festen, kieselartigen Boden drückte,
folgendes, von keiner anderen Menschenseele vernommenes Gebet:
»Herr, wie weiland Noah setze ich den Fuß auf einen neuen
Kontinent, den Du uns in Deiner Güte geschenkt hast, und indes
ich ihn in Besitz nehme, ruhen auf mir die Hoffnungen der ganzen
Menschheit.«
    Ich stand frei auf dem Boden des Mondes, nur durch den
Luftschlauch mit der Phaeton verbunden. Ich spürte die
scharfen Kanten des porösen Gerölls durch die Schuhe; es
war wie ein Spaziergang auf dem Kies eines Strandes. Vorsichtig
setzte ich einen Fuß vor den anderen, denn ich
befürchtete, den Anzug oder den Luftschlauch zu
beschädigen.
    Ich drückte das Schiffsmodell an die Brust und marschierte in
der lunaren Stille etwa dreißig Fuß – die
Gesamtlänge des Schlauches betrug nur vierzig Fuß –
einen Abhang hinunter, wobei der Eispickel und die

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